O! mein armes Land! von bürgerlichen Wunden entkräftet! Wenn meine Sorgfalt deine Ausschweiffungen nicht dämmen konnte, was wird aus dir werden, wenn die Ausschweiffung deine Fürsorge ist? O du wirst wieder eine Wildniß werden, von Wölfen, deinen alten Einwohnern, bewohnt!

Prinz Heinrich (kniend.) O! vergebet mir, mein Gnädigster Oberherr! Wenn ich vor Beklemmung und Thränen hätte reden können, so würde ich diese harte und schmerzliche Bescheltung eher unterbrochen haben. Hier ist eure Crone, und derjenige, der die Crone der Unsterblichkeit trägt, möge sie euch noch lang' erhalten. Wenn ich sie mehr liebe als euer Leben, und eure Ehre, so mög' ich nimmer von diesem Boden aufstehen, auf den mein getreues und von seiner Pflicht durchdrungnes Herz meine Knie niedergeworfen hat. Der Himmel ist mein Zeuge, was für ein kalter Schauer mich befiel, da ich herein kam, und keinen Athem mehr an Eurer Majestät spürte. Wenn diß Verstellung ist, o! so mög' ich in meiner gegenwärtigen Wildheit sterben, und die Zeit nicht erleben, daß ich der ungläubigen Welt die Veränderung zeigen könne, die ich bey mir selbst beschlossen habe. Ich war gekommen euch zu besuchen, und in der Meynung daß ihr todt seyd, und von dem Gedanken daß ihr es seyd, selbst beynahe todt, redte ich die Crone an, als ob sie mich verstehen könnte, und machte ihr diese Vorwürfe: Die Sorgen, die du machst, haben das Leben meines Vaters aufgezehrt, und also bist du, obgleich das feinste, das schlimmste Gold; anders Gold, obgleich minder fein, ist kostbarer, da es, in eine trinkbare Arzney aufgelößt, ein Mittel zu Erhaltung des Lebens ist; du hingegen, das feinste, das hochgeschäzteste, das glorreicheste, hast den der dich trug des Lebens beraubt. Indem ich sie so beschalt, mein Königlicher Herr, sezte ich sie auf mein Haupt, um mit ihr, wie mit einem Feind, der meinen Vater vor meinen Augen ermordet hatte, die Sache eines rechtschaffnen Erben auszufechten. Wenn sie aber mein Blut mit Freude anstekte, oder mit irgend einem stolzen Gedanken meine Seele schwellte, wenn ein rebellischer oder hochstrebender Geist in mir, auch nur mit dem schwächsten Grad von Vergnügen, ihre Macht willkommen hieß; so verhindre der Himmel, daß sie nie auf mein Haupt komme, und mache mich dem Aermsten unter allen gleich, die mit zitternder Ehrfurcht vor ihr knien!

König Heinrich. O! Mein Sohn, der Himmel gab dir ein, sie von hinnen zu nehmen, um zu dieser Erklärung Anlaß zu machen, die dir deines Vaters Liebe in desto vollerm Maaß wieder giebt. Komm näher, Harry, seze dich zu meinem Bette, und höre, ich denke den lezten Rath, den ich dir jemals geben werde. Der Himmel weiß, mein Sohn, durch was für Seiten-Wege und krumme Pfade ich zu dieser Crone gekommen bin, und ich selbst weiß am besten, wie unruhig sie auf meinem Haupte saß. Zu dir wird sie in beßrer Ruhe, mit bessrer Meynung und mit einem bessern Titel herabsteigen: Denn alle Vorwürfe, die der Gelangung dazu gemacht werden können, gehen mit mir zu Grabe. Diese Crone schien an mir nur eine gewaltthätig an mich gerissene Zierde, und es lebten ihrer viele die mir vorrüken konnten, daß sie mir dazu verholfen hätten; und daraus mußte täglich Zank und Blutvergiessen entstehen; der Friede, dessen ich genoß, war unsicher, und alle Augenblike von Unternehmungen unterbrochen, die meine Crone und mein Leben in Gefahr sezten. Meine ganze Regierung war wie ein Schauspiel, wovon Empörung und Selbstvertheidigung der Inhalt war. Aber nun ändert mein Tod die Scene; was bey mir erobert war, fällt unter einem schönern Titel auf dich, denn du trägst die Crone durch das Recht der Erbfolge. Allein ob du gleich sichrer stehst als ich, so stehst du doch nicht fest genug, da die Beschwerden noch so frisch sind, und allen denen, die du nun zu deinen Freunden machen must, der Stachel erst so kürzlich ausgezogen worden ist. Ich rede von den Erben und Freunden dererjenigen, durch deren verbrecherische Künste ich emporgestiegen, durch deren Macht ich besorgen mußte, wieder gestürzt zu werden, und denen ich deßwegen zuvor kam.

William Shakespeare
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