Hamlet. O, meine weissagende Seele! Mein Oheim?

Geist. Ja, dieser ehrlose blutschändrische Unmensch verführte durch die Zauberey seines Wizes, und durch verräthrische Geschenke (o! verflucht sey der Wiz und die Geschenke, welche die Macht haben, so zu verführen,) das Herz meiner so tugendhaft scheinenden Königin. O Hamlet, was für ein Abfall war das! Von mir, dessen Liebe, in unbeflekter Würde Hand in Hand mit dem Ehe-Gelübde gieng, so ich ihr gethan hatte--zu einem Elenden abzufallen, dessen natürliche Gaben gegen die meinigen nicht einmal in Vergleichung kamen! Allein, so wie die Tugend sich niemals verführen lassen wird, wenn das Laster gleich in himmlischer Gestalt käme, sie zu versuchen; so würde die Unzucht, und wenn sie an einen stralenden Engel angeschlossen wäre, sich nicht enthalten können, selbst in einem himmlischen Bette ihre heißhungrige Lust an Luder-Fleisch zu büssen. Doch sachte! Mich däucht, ich wittre die Morgen-Luft--Ich muß kurz seyn. Ich lag, wie es nachmittags immer meine Gewohnheit war, unter einer Sommer-Laube in meinem Garten, und schlief unbesorgt, als dein Oheim sich ingeheim mit einer Phiole voll Gift herbeyschlich, welches eine so gewaltsame Wirkung thut, daß es schnell wie Queksilber alle Adern durchdringt, und das sonst flüssige und gesunde Blut gerinnen macht, wie Milch wenn etwas Saures darein gegossen wird; dieses Gift schüttete er mir in die Ohren, und es wirkte so gut, daß es mir eine plözliche Schwindeflechte verursachte, die meinen ganzen Leib mit einem ekelhaften Aussaz überzog, und in einem Augenblik in ein gräßliches Scheusal verwandelte. Solchergestalt wurde ich dann schlafend, durch die Hand eines Bruders, auf einmal des Lebens, der Krone und meiner Königin beraubt; mitten in meinen Sünden weggerissen, ohne Vorbereitung, ohne Sacrament, ohne Fürbitte; eh ich meine Rechnung gemacht, mit allen meinen Vergehungen beladen, zur Rechenschaft fortgeschikt. O, es ist entsezlich, entsezlich, höchst entsezlich! Wenn du einen Bluts-Tropfen von mir in deinen Adern hast, so duld' es nicht; laß das Königliche Bette von Dännemark nicht zu einem Tummel-Plaz der Üppigkeit und blutschändrischer Unzucht gemacht werden. Doch, so strenge du auch immer diese Greuel-That rächen magst, so befleke deine Seele nicht mit einem blutigen Gedanken gegen deine Mutter; überlaß sie dem Himmel und dem nagenden Wurm, der in ihrem Busen wühlet. Lebe wohl! Der Feuer-Wurm kündigt den herannahenden Morgen an, und beginnt sein unwesentliches Feuer auszustralen. Adieu, adieu, adieu--Gedenke meiner, Sohn!

(Er verschwindet.)

Hamlet. O du ganzes Heer des Himmels! O Erde! Und was noch mehr?--Soll ich auch noch die Hölle aufruffen?--O Fy, halte dich, mein Herz! Und ihr, meine Nerven, werdet nicht plözlich alt, sondern traget mich aufrecht--Deiner gedenken? Ja, du armer unglüklicher Geist, so lange das Gedächtniß in diesem betäubten Rund

(er schlägt an seinen Kopf)

seinen Siz behalten wird!--Deiner gedenken? Ja, ja, ich will sie alle von der Tafel meines Gedächtnisses wegwischen, alle diese alltägliche läppische Erinnerungen, alles was ich in Büchern gelesen habe, alle andern Ideen und Eindrüke, welche Jugend und Beobachtung darinn eingezeichnet haben; ich will sie auslöschen, und dein Befehl allein, unvermischt mit geringerer Materie, soll den ganzen Raum meines Gehirns ausfüllen. Ja, beym Himmel!--O! abscheuliches Weib! O Bösewicht, Bösewicht, lächelnder verdammter Bösewicht!--Meine Schreib-Tafel--ich will es niederschreiben--daß einer lächeln und immer lächeln, und doch ein Bösewicht seyn kan-- wenigstens weiß ich nun, daß es in Dännemark so seyn kan--

(Er schreibt.)

So, Oheim, da steht ihr; izt zu meinem Wortzeichen; es ist: Adieu, adieu, gedenke meiner: Ich hab' es beschworen--

Neunte Scene. (Horatio und Marcellus treten auf.)

Horatio. Gnädiger Herr, Gnädiger Herr--

Marcellus. Prinz Hamlet--

Horatio. Der Himmel schüze ihn!

Marcellus. Amen!

Horatio. Holla, ho! ho! Gnädiger Herr--

Hamlet. Hillo, ho, ho; Junge; komm, Vogel, komm--

Marcellus.

William Shakespeare
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