(Alle, bis auf Ophelia gehen ab.)

Zweyte Scene. (Hamlet tritt auf, mit sich selbst redend.)

Hamlet. Seyn oder nicht seyn--Das ist die Frage--Ob es einem edeln Geist anständiger ist, sich den Beleidigungen des Glüks geduldig zu unterwerfen, oder seinen Anfällen entgegen zu stehen, und durch einen herzhaften Streich sie auf einmal zu endigen? Was ist sterben?--Schlafen--das ist alles--und durch einen guten Schlaf sich auf immer vom Kopfweh und allen andern Plagen, wovon unser Fleisch Erbe ist, zu erledigen, ist ja eine Glükseligkeit, die man einem andächtiglich zubeten sollte--Sterben--Schlafen--Doch vielleicht ist es was mehr--wie wenn es träumen wäre?--Da stekt der Haken--Was nach dem irdischen Getümmel in diesem langen Schlaf des Todes für Träume folgen können, das ist es, was uns stuzen machen muß. Wenn das nicht wäre, wer würde die Mißhandlungen und Staupen- Schläge der Zeit, die Gewaltthätigkeiten des Unterdrükers, die verächtlichen Kränkungen des Stolzen, die Quaal verschmähter Liebe, die Schicanen der Justiz, den Übermuth der Grossen, ertragen, oder welcher Mann von Verdienst würde sich von einem Elenden, dessen Geburt oder Glük seinen ganzen Werth ausmacht, mit Füssen stossen lassen, wenn ihm frey stühnde, mit einem armen kleinen Federmesser sich Ruhe zu verschaffen? Welcher Taglöhner würde unter Ächzen und Schwizen ein mühseliges Leben fortschleppen wollen?--Wenn die Furcht vor etwas nach dem Tode--wenn dieses unbekannte Land, aus dem noch kein Reisender zurük gekommen ist, unsern Willen nicht betäubte, und uns riehte, lieber die Übel zu leiden, die wir kennen, als uns freywillig in andre zu stürzen, die uns desto furchtbarer scheinen, weil sie uns unbekannt sind. Und so macht das Gewissen uns alle zu Memmen; so entnervet ein blosser Gedanke die Stärke des natürlichen Abscheues vor Schmerz und Elend, und die grössesten Thaten, die wichtigsten Entwürfe werden durch diese einzige Betrachtung in ihrem Lauf gehemmt, und von der Ausführung zurükgeschrekt--Aber sachte!--wie? Die schöne Ophelia?--Nymphe, erinnre dich aller meiner Sünden in deinem Gebete.

Ophelia. Mein Gnädiger Prinz, wie habt ihr euch diese vielen Tage über befunden?

Hamlet. Ich danke euch demüthigst; wohl--

Ophelia. Gnädiger Herr, ich habe verschiedne Sachen zum Andenken von euch, die ich euch gerne zurükgegeben hätte; ich bitte euer Gnaden, sie bey dieser Gelegenheit zurük zu nehmen.

Hamlet. Ich? ich wißte nicht, daß ich euch jemals was gegeben hätte.

Ophelia. Ihr wißt es gar wohl, Gnädiger Herr, und daß ihr eure Geschenke mit Worten, von so süssem Athem zusammengesezt, begleitet habt, daß sie dadurch einen noch grössern Werth erhielten. Da sich dieser Parfüm verlohren hat, so nehmt sie wieder zurük. Geschenke verliehren für ein edles Gemüth ihren Werth, wenn das Herz des Gebers geändert ist.

Hamlet. Ha, ha! Seyd ihr tugendhaft?

Ophelia. Gnädiger Herr--

Hamlet. Seyd ihr schön?

Ophelia. Was sollen diese Fragen bedeuten?

Hamlet. Das will ich euch sagen. Wenn ihr tugendhaft und schön seyd, so soll eure Tugend nicht zugeben, daß man eurer Schönheit Schmeicheleyen vorschwaze.

Ophelia. Machen Schönheit und Tugend nicht eine gute Gesellschaft mit einander aus, Gnädiger Herr?

Hamlet. Nicht die beste; denn es wird allemal der Schönheit leichter seyn, die Tugend in eine Kupplerin zu verwandeln, als der Tugend, die Schönheit sich ähnlich zu machen. Das war ehmals ein paradoxer Saz, aber in unsern Tagen ist seine Wahrheit unstreitig--Es war eine Zeit, da ich euch liebte.

Ophelia. In der That; Gnädiger Herr, ihr machtet mich's glauben.

Hamlet. Ihr hättet mir nicht glauben sollen. Denn Tugend kan sich unserm alten Stamme nie so gut einpfropfen, daß wir nicht noch immer einen Geschmak von ihm behalten sollten. Ich liebte euch nicht.

Ophelia. Desto schlimmer, daß ich so betrogen wurde.

Hamlet. Geh in ein Nonnenkloster. Warum wolltest du eine Mutter von Sündern werden? Ich bin selbst keiner von den Schlimmsten; und doch könnt' ich mich solcher Dinge anklagen, daß es besser wäre, meine Mutter hätte mich nicht zur Welt gebracht.

William Shakespeare
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