Und doch--armer Claudio! Es ist nicht zu helfen!-- Folget mir, mein Herr.

(Gehen ab.)

Sechste Scene. (Der Kerkermeister, ein Bedienter.)

Bedienter. Er giebt nur einer Partey Gehör; er wird gleich kommen: Ich will ihm sagen, daß ihr hier seyd.

Kerkermeister. Ich bitte euch, thut es; ich möchte wissen, was sein Wille ist; vielleicht ihn wieder frey zu lassen--Ach! Er hat kaum mehr als in einem Traum gesündiget; alle Stände, alle Alter riechen nach diesem Laster--und er soll dafür sterben. (Angelo zu den Vorigen.)

Angelo. Nun, was giebt es, Kerkermeister?

Kerkermeister. Ist es Euer Gnaden Wille, daß Claudio morgen sterben solle?

Angelo. Sagt' ich dir nicht schon, ja? Hast du nicht Befehl? Wozu brauchst du noch einmal zu fragen?

Kerkermeister. Aus Furcht, ich möchte zu rasch seyn. Mit Euer Gnaden Erlaubniß, ich habe den Fall schon erlebt, da der Richter nach der Vollziehung sein Urtheil gerne wiederruffen hätte.

Angelo. Thu du deine Pflicht, und laß das meine Sorge seyn; thu deine Pflicht, oder gieb dein Amt auf; und es soll dir keine Mühe mehr gemacht werden.

Kerkermeister. Ich bitt' unterthänig um Verzeihung, Gnädiger Herr--Und was soll ich mit der winselnden Juliette anfangen? Sie ist ihrer Entbindung sehr nahe.

Angelo. Bringe sie an einen bequemem Ort, und das unverzüglich.

Der Bediente. Gnädiger Herr, hier ist die Schwester des verurtheilten Manns, und bittet vor Euer Gnaden gelassen zu werden.

Angelo. Hat er eine Schwester?

Kerkermeister. Ja, Gnädiger Herr, eine sehr tugendhafte junge Person, die im Begriff ist eine Klosterfrau zu werden, wenn sie es nicht schon ist.

Angelo. Gut; laß sie herein kommen.

(Bedienter geht ab.)

Sorgt ihr davor, daß die Hure in einen andern Ort gebracht werde; laßt ihr bloß die nothdürftige, und keine überflüssige Unterhaltung geben; es soll Befehl deshalb ertheilt werden.

Siebende Scene. (Lucio und Isabella, zu den Vorigen.) (Kerkermeister will abtreten.)

Angelo. Bleibt noch ein wenig--

(Zu Isabella.)

Seyd willkommen; was ist euer Begehren?

Isabella. Ich bin eine bekümmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun möchte, wenn es euch gefiele mich anzuhören.

Angelo. Gut; was ist eure Bitte?

Isabella. Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft zu sehen wünsche, und für welches ich keine Fürbitte thun würde, wenn ich nicht müßte.

Angelo. Gut, zur Sache.

Isabella. Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch, laßt das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder fallen.

Kerkermeister (leise.) Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu rühren;

Angelo. Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Thäter? Ein jedes Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was würde mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen fände, deren Strafe die Geseze bestimmt haben, und die Thäter gehen liesse?

Isabella. O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez!--Ich habe also keinen Bruder mehr--

(Sie will fortgehen.)

Lucio (leise.) Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn, fallt auf die Knie, hängt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt; wenn ihr eine Steknadel nöthig hättet, könntet ihr sie mit keiner gleichgültigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich.

Isabella (zu Angelo.) Muß er denn nothwendig sterben?

Angelo. Mädchen, dafür ist kein Mittel.

Isabella. Ey ja, ich denke ihr könntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder der Himmel noch die Menschen mißbilligen es, wenn man Gnade vor Recht gehen läßt.

Angelo. Ich will aber nicht.

Isabella. Könntet ihr, wenn ihr wolltet?

Angelo. Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht.

Isabella. Aber könntet ihr es thun, ohne daß die Welt einen Schaden davon hätte, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fühlte?

Angelo. Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu spät.

Lucio (leise.) Ihr seyd zu kalt.

Isabella. Zu spät? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich gesprochen habe: Glaubet nur, den König ziert seine Crone, den Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; wäret ihr an seinem Plaze gewesen und er an euerm, ihr würdet gestrauchelt haben, wie er; aber er würde nicht so strenge gewesen seyn.

William Shakespeare
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