Angelo (für sich.) Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen überwältiget-- Lebet wohl--

(Er will weggehen.)

Isabella. O! mein Gnädiger Herr, kehret zurük.

Angelo. Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder.

Isabella. Höret doch, wie ich euch bestechen will; mein gütiger Herr, kehret zurück.

Angelo. Wie? Mich bestechen?

Isabella. Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll.

Lucio (leise.) Gut, sonst hättet ihr alles verdorben.

Isabella. Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung sie gelten läßt, sondern mit unschuldigen Fürbitten, die zum Himmel aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder aufgeht; mit Fürbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind.

Angelo. Gut, kommt morgen wieder.

Lucio (leise.) Geht izt, es ist genug--weg.

Isabella. Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich morgen Euer Gnaden aufwarten?

Angelo. Vor Mittag, wenn ihr wollt.

(Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.)

Achte Scene.

Angelo (allein.) Von dir? Von deiner Tugend selbst? Was ist das? Was ist das? Ist es deine Schuld oder meine? Wer sündiget am meisten, der Versucher, oder der Versuchte? Nicht sie, denn sie denkt nur nicht daran mich versuchen zu wollen; ich bin es, der neben dem Veilchen in der Sonne ligend, gleich einem Aaß, nicht wie die Blume, von der holden Frühlings-Wärme faule. Ists möglich, daß die Sittsamkeit eines Weibes unsern Sinnen gefährlicher seyn soll, als ihre Schlüpfrigkeit? Sollen wir, da wir genug unnüzen Boden haben, einen Tempel niederreissen, um unsre Laster hinein zu steken?--O pfui, pfui, pfui! Was thust du, oder was bist du, Angelo? O laß ihren Bruder leben: Diebe haben Entschuldigung für ihre Räubereyen, wenn die Richter selbst stehlen. Wie? lieb ich sie, daß ich so begierig bin, sie wieder zu hören, und mich an ihren Augen zu weiden? Was war diß was ich träumte? O! listiger Teufel, der, um Heilige zu fangen, eine Heilige an deinen Angel stekst! Die gefährlichste Versuchung ist, die uns durch die Liebe zur Tugend zur Sünde reizt. Nimmermehr könnt ein feiles Weibsbild, mit aller ihrer verdoppelten Stärke, mit allen Reizungen der Natur und Kunst, meine Sinnen nur einen Augenblik aufrührisch machen; aber dieses tugendhafte Mädchen überwältiget mich ganz, mich, der bis auf diesen Augenblik, wenn ich von verliebten Mannsleuten hörte, lächelte, und nicht begreiffen konnte, wie sie es seyn könnten.

(Geht ab.)

Neunte Scene. (Verwandelt sich in ein Gefängniß.) (Der Herzog in einem Mönchshabit, und der Kerkermeister, treten auf.)

Herzog. Gott grüsse euch, Kerkermeister; denn das seyd ihr, denke ich.

Kerkermeister. Ich bin's; was ist euer Wille, mein guter Pater?

Herzog. Von Christlicher Liebe getrieben, und nach den Pflichten meines Ordens komm' ich, die betrübten Seelen in diesem Gefängniß zu besuchen; laßt mich sie sehen, damit ich die Natur ihrer Sünden erkundigen, und nach Befinden mein Amt bey ihnen verrichten könne.

Kerkermeister. Ich wollte noch mehr thun als das, wenn es nöthig wäre. (Juliette tritt auf.)

Kerkermeister. Seht, hier kommt eine von meinen Gefangnen, ein Fräulein, die in die Flammen ihrer eignen Jugend gefallen ist, und ihren guten Namen darinn versengt hat: Sie ist schwanger, und der Vater ihres Kinds ist zum Tode verurtheilt; ein junger Mann, der bereiter ist, noch eine solche Sünde zu begehen, als für diese zu sterben.

Herzog. Wenn soll er sterben?

Kerkermeister. Ich denke, morgen.

(Zu Juliette.)

Ich habe Vorsehung für euch gethan, bleibt eine Weile, und ihr sollt weggeführt werden.

Herzog. Bereuet ihr, schönes Kind, die Sünde, die ihr begangen habt?

Juliette. Ich bereue sie und trage die Schmach gedultig.

Herzog. Ich will euch lehren, wie ihr euer Gewissen prüfen könnt, um zu erfahren, ob eure Busse aufrichtig ist oder nicht.

Juliette. Ich will es gerne lernen.

William Shakespeare
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