Isabella. Wie sagt ihr?

Angelo. Ich will nicht davor gut stehen; denn ich kan vieles gegen das was ich gesagt habe, einwenden. Antwortet mir nur auf das: Ich, durch dessen Mund nur das Gesez redet, spreche das Todes-Urtheil wider euern Bruder aus: Wäre nicht Barmherzigkeit in einer Sünde, die ihr nur darum begienget, um euers Bruders Leben zu retten?

Isabella. Schenket ihm das Leben, ich will es auf die Gefahr meiner Seele nehmen, dann ist gar keine Sünde darinn, sondern blosse Barmherzigkeit.

Angelo. Hört mich nur, ihr versteht mich nicht; entweder seyd ihr unwissend, oder stellt euch so, und das ist nicht gut.

Isabella. Laßt mich unwissend seyn, und in nichts gut, als in der demüthigen Erkenntniß, daß ich nicht besser bin.

Angelo. So wünscht die Weisheit nur desto glänzender zu scheinen, wenn sie sich selbst tadelt; wie diese schwarze Tücher die eingehüllte Schönheit zehnmal lauter ankündigen als die enthüllte Schönheit selbst thun könnte. Aber höret mich, um besser verstanden zu werden, will ich deutlicher reden; euer Bruder muß sterben.

Isabella. So.

Angelo. Und wegen eines Verbrechens, worauf das Gesez diese Strafe gelegt hat.

Isabella. Es ist wahr.

Angelo. Gesezt, es wäre kein ander Mittel ihm das Leben zu retten (ich sage nicht, daß ich es gelten lassen würde, sondern nur um den Fall zu sezen) als daß ihr, seine Schwester, wofern jemand euer begehrte, den sein eigner Plaz oder sein Ansehen bey dem Richter in den Stand sezte, euern Bruder aus den Fesseln des Gesezes zu befreyen, und daß kein andres Mittel ihn zu retten wäre, als ihr müßtet entweder diesem vorausgesezten den Genuß eurer Schönheit überlassen, oder euern Bruder leiden sehen, was würdet ihr thun?*

{ed.-* Die unrichtige Construction dieser Rede ist im Original, und man hat sie beybehalten, weil sie die Verwirrung ausdrukt, worinn sich Angelo in diesem Augenblik befinden mußte.}

Isabella. Soviel für meinen armen Bruder, als für mich selbst; das ist, wär ich zum Tode verurtheilt, so wollt ich die Striemen scharfer Geisseln wie Rubinen tragen, und mich auf die Marterbank mit der Sehnsucht eines Kranken wie auf ein Ruhbette werfen, eh ich meinen Leib der Schande preiß geben wollte.

Angelo. So müßte euer Bruder sterben.

Isabella. Besser, daß ein Bruder einen einzigen Augenblik sterbe, als daß die Schwester, um ihn zu retten, ewig sterbe.

Angelo. Wäret ihr in diesem Falle nicht eben so grausam als das Urtheil, das ihr so genennt habt?

Isabella. So wie eine schändliche Ranzion, und eine freye Begnadigung von zweyerley Häusern sind; so ist auch ganz gewiß nicht die mindeste Verwandtschaft zwischen einer gesezmäßigen Barmherzigkeit, und einer lasterhaften Erlösung.

Angelo. Ihr schienet lezthin das Gesez für einen Tyrannen, und den Fehltritt euers Bruders eher für eine Kurzweil als für ein Verbrechen anzusehen.

Isabella. Verzeihet mir Gnädiger Herr; um zu erhalten was wir suchen, sind wir oft genöthiget nicht zu sagen, was wir denken. Aus Liebe zu einem unglüklichen Bruder wünschte ich die That entschuldigen zu können, die ich verabscheue.

Angelo. Wir sind alle gebrechlich.

Isabella. Wär' es nicht so, so möchte mein Bruder immerhin sterben.

Angelo. Die Weiber sind auch gebrechlich.

Isabella. Ja, wie die Spiegel, worinn sie sich beschauen; die Weiber! Der Himmel stehe ihnen bey! Die Männer verderben ihre angebohrne Unschuld zum Vortheil ihrer Leidenschaften; ja, nennet uns zehenmal gebrechlich, denn wir sind sanft wie unsre Bildung, und weich genug jeden fremden Eindruk anzunehmen.

Angelo. So denke ich auch; und durch das Zeugniß euers eignen Geschlechts laßt mich kühner werden. Ich halte euch bey euern Worten. Seyd was ihr seyd, ein Weib; wenn ihr mehr seyd, seyd ihr keines. Seyd ihr's, wie diese Gestalt auf eine so reizende Art es bezeuget, so zeiget es izt, indem ihr diese geweyhte Liverey ableget.

Isabella. Ich habe nur eine Zunge; ich bitte Euer Gnaden, deutlich zu sprechen.

Angelo. Ich liebe euch.

Isabella. Mein Bruder liebte die Juliette, und ihr sagt mir, daß er dafür sterben müsse.

William Shakespeare
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