Isabella. Er sagt mir auch, ich soll' es mir nicht seltsam vorkommen lassen, wenn er allenfalls auch auf die andre Seite, und wider mich reden sollte--

Mariane. Ich wünschte, der Bruder Peter--

Isabella. Stille, da kommt er ja.

(Peter zu den Vorigen.)

Peter. Kommt, ich habe einen Ort für euch ausfündig gemacht, wo ihr ganz bequem warten könnet, und wo euch der Herzog nicht entgehen kan. Die Trompeten haben schon zweymal getönt; die angesehensten Bürger haben sich schon bey dem Stadt-Thor versammelt; der Herzog ist im Anzug; wir müssen eilen.

(Sie gehen ab.)

Fünfter Aufzug.

Erste Scene. (Ein öffentlicher Plaz nahe bey der Stadt.) (Der Herzog, Varrius, etliche andre Edelleute, Angelo, Escalus, Lucio und einige Bürger, treten auf verschiednen Seiten auf.)

Herzog. Mein würdiger Vetter, ich danke euch für diesen Willkomm; unser alter und getreuer Freund, wir sind erfreut euch zusehen.

Angelo und Escalus. Beglükt sey Euer Durchlaucht Wiederkunft!

Herzog. Wir danken euch beyden von Herzen.

(Zu Angelo.)

Wir haben uns nach euch erkundiget, und wir hören so viel Gutes von der Gerechtigkeit eurer Staatsverwaltung, daß wir nicht umhin können, euch deßwegen öffentlichen Dank zu erstatten, bis wir Gelegenheit haben, es auf eine vollständigere Art zu thun.

Angelo. Euer Durchlaucht macht meine Verpflichtungen immer grösser.

Herzog. O! euer Verdienst redet laut, und ich würde ungerecht gegen dasselbe seyn, wenn ich es in den Kerker meines eignen Busens einschliessen wollte; da es würdig ist, mit Buchstaben von Erzt gegen den Zahn der Zeit und den Rost der Vergessenheit gesichert zu werden. Gebt mir eure Hand, und laßt die Unterthanen sehen, wie begierig wir sind, unsre innerliche Achtung für euch durch äusserliche Merkmale öffentlich bekannt zu machen. Kommt, Escalus; ihr sollt auf der andern Seite mit uns gehen, ihr habt euch unsers Zutrauens würdig bewiesen.

(Der Herzog macht einige Schritte, als ob er weiter gehen wollte.)

Zweyte Scene. (Peter und Isabella zu den Vorigen.)

Peter (zu Isabella.) Izt ist eure Zeit: Redet laut, und kniet vor ihm.

Isabella. Gerechtigkeit, Gnädigster Herr; werfet euern Blik auf eine unglükliche, mißhandelte--Schier hätte ich gesagt, Jungfrau: O, würdiger Fürst, entehret euer Auge nicht, es auf einen andern Gegenstand zu richten, bevor ihr meine gerechten Klagen angehört, und mir Recht verschaft habt.

Herzog. Was für Unrecht ist euch dann geschehen, worinn? von wem? macht es kurz; hier ist der Freyherr Angelo, der euch Recht schaffen wird; eröffnet euch ihm.

Isabella. O mein Gnädigster Herr! Ihr befehlet mir, Erlösung bey dem Teufel zu suchen. Höret mich selbst an, denn das was ich zu sagen habe, muß entweder mich straffen, wenn ich keinen Glauben finde, oder euch Rache abnöthigen; o, höret mich, höret mich.

Angelo. Gnädigster Herr, ich besorge, sie ist nicht recht bey Vernunft; sie hat eine vergebliche Fürbitte für ihren Bruder bey mir eingelegt, der nach dem Lauf der Gerechtigkeit den Kopf verlohren hat.

Isabella. Lauf der Gerechtigkeit!

Angelo. Und izt wird sie in ihrer Verbitterung seltsame Reden ausstossen.

Isabella. Höchst seltsame; aber nur allzuwahr ist es, was ich sagen werde; daß Angelo ein meyneydiger Mann ist, ist das nicht seltsam? daß Angelo ein Mörder ist, ist das nicht seltsam? daß Angelo ein ehebrechrischer Räuber, ein Heuchler, ein Jungfrauen-Schänder ist? ist das nicht seltsam, und abermal seltsam?

Herzog. In der That, es ist zehenmal seltsam.

Isabella. Und doch ist es nicht wahrer, daß er Angelo ist, als daß alles dieses so wahr ist, als es seltsam ist; ja, es ist zehenmal wahrer; denn Wahrheit ist am Schluß allemal Wahrheit.

Herzog. Schaft sie hinweg, die arme Seele; sie sagt das in der Verrükung ihres Gehirns.

Isabella. O Fürst ich beschwöhre dich, wenn du anders glaubest daß noch ein andrer Trost ist als diese Welt, verachte mich nicht, in der Meynung, daß ich nicht bey gesunder Vernunft sey. Mache nicht unmöglich, was nur unbegreiflich scheint; es ist nicht unmöglich, daß der ärgste Bube im Herzen von aussen so spröde, so ernsthaft, so gerecht, so unsträflich scheinen kan, als Angelo; gleichergestalt kan Angelo, mit allen seinen Masken, Charactern, Titeln und Anscheinungen, doch nur ein Erz-Bösewicht seyn; Glaubet mir, gnädigster Herr, er ist es; wenn er weniger ist, so ist er gar nichts; aber er ist mehr, wenn ich Namen für seine Boßheit hätte.

William Shakespeare
Classic Literature Library

All Pages of This Book