Hierüber gieng dieser Herr auf den Cassio zu, und bat ihn sich zufrieden zu geben, ich selbst aber lief dem schreienden Kerl nach, aus Furcht, sein Geschrey möchte (wie es auch würklich begegnet ist,) die Stadt in Unruh sezen; allein, da er schneller auf den Beinen war, so verlohr' ich ihn gleich aus dem Gesicht, kehrte also wieder zurük, um so mehr als ich das Klingeln und Fallen von blossen Degen und den Cassio gewaltig fluchen hörte, welches ich vor dieser Nacht niemals hätte von ihm sagen können. Wie ich nun zurük kam, so fand ich sie im hizigsten Gefecht begriffen, kurz, in den nemlichen Umständen, worinn ihr selbst sie auseinander gebracht habt. Mehr kan ich von diesem Handel nicht sagen. Aber Menschen sind Menschen; die besten vergessen sich zuweilen; und wenn ihm auch Cassio ein wenig zuviel gethan hat, wie denn Leute in der Wuth oft ihre liebsten Freunde schlagen, so glaub ich doch gewiß, daß Cassio von dem Burschen, der entlaufen ist, irgend eine grobe Beleidigung, die nicht zu dulden war, empfangen haben muß.

Othello. Ich sehe, Jago, daß dein gutes Gemüth und deine Liebe zu Cassio seine Schuld zu verkleinern sucht. Cassio, ich liebe dich, aber du bist mein Officier nicht mehr--(Desdemona, mit Gefolge, zu den Vorigen.) Seht, ist nicht meine liebste Desdemona aufgestanden--ich will dich zu einem Exempel machen.

Desdemona. Was ist hier zu thun?

Othello. Es ist alles in seiner Ordnung. Komm zu Bette, meine Liebe--Mein Herr, ich will selbst der Arzt für eure Wunden seyn--Führt ihn nach Hause. Jago, laß dir die Beruhigung der Stadt angelegen seyn--Komm, Desdemona; es ist einer von den Zufällen des Soldaten-Lebens, oft vom süssesten Schlummer durch kriegrisches Getümmel aufgewekt zu werden.

(Sie gehen ab.)

Dreyzehnte Scene. (Jago und Cassio bleiben.)

Jago. Wie, seyd ihr verwundet, Lieutenant?

Cassio. So, daß mir alle Wundärzte der Welt nicht helfen können.

Jago. Das verhüte der Himmel!

Cassio. O Guter Name! Guter Name! Ich habe meinen guten Namen verlohren; ich habe mein unsterbliches Theil verlohren, was mir übrig geblieben, ist ein blosses Thier. Meinen guten Namen, Jago, meinen guten Namen!--

Jago. So wahr ich ein Bidermann bin, ich dachte, ihr hättet irgend eine tieffe Wunde in den Leib bekommen; das hätte mehr zu bedeuten als ein guter Name--Diese Schimäre, die so oft ohne Verdienste gewonnen, und ohne Verschuldung verlohren wird. Ihr habt nichts verlohren, als in so fern ihr euch einbildet, daß ihr was verlohren habt. Wie, Mann--man kan Mittel finden, den General wieder zu gewinnen. Ihr seyd nur noch mündlich cassiert, eine Straffe, worinn mehr Politik als böser Willen ist; gerade so, als wenn einer seinen unschuldigen Hund schlüge, um einen übermüthigen Löwen zu erschreken. Gebt ihm gute Worte, so ist er wieder euer.

Cassio. Ich wollte lieber selbst um meine Verwerfung bitten, als einen so rechtschaffnen General mit einem so schlechten, so versoffenen, so unbedachtsamen Officier betrügen. Besoffen? und plappern wie ein Papagay? und Händel anfangen? großpralen? fluchen? und dummes Zeug mit seinem eignen Schatten reden? O du unbändiger Geist des Weins, wenn du noch keinen Namen hast, woran man dich kennen kan, so laß dich Teufel heissen.

Jago. Wer war der Kerl, den ihr mit dem Degen verfolgtet? was hatte er euch gethan?

Cassio. Das weiß ich nicht.

Jago. Ists möglich?

Cassio. Ich erinnere mich eines verworrenen Klumpens von Sachen, aber nichts deutlich: Eines Handels, aber nicht warum. O daß ein Mann einen Feind zu seinem Mund einlassen soll, damit er ihm seine Vernunft wegstehlen könne! daß wir fähig sind, mit lauter Freude, Lust, Scherz und Wohlleben uns in Bestien zu verwandeln!

Jago. Nun, gebt euch zufrieden, ihr seyd wieder ganz wohl: Wie habt ihr euch sobald wieder erholt?

Cassio. Der Teufel der Trunkenheit hat dem Teufel des Zorns Plaz gemacht; eine Unvollkommenheit zeigt mir eine andre--o wie herzlich veracht' ich mich selber!

Jago. Kommt, ihr seyd ein allzustrenger Moralist.

William Shakespeare
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