Romeo und Julia

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BENVOLIO Er lief hieher und sprang die Gartenmauer Hinüber. Ruf ihn, Freund Mercutio!

MERCUTIO Ja, auch beschwören will ich. Romeo! Was? Grillen! Toller! Leidenschaft! Verliebter! Erscheine du, gestaltet wie ein Seufzer; Sprich nur ein Reimchen, so genügt mirs schon; Ein Ach nur jammre, paare Lieb und Triebe; Gib der Gevattrin Venus ein gut Wort, Schimpf eins auf ihren blinden Sohn und Erben, Held Amor, der so flink gezielt, als König Kophetua das Bettlermädchen liebte. Er höret nicht, er regt sich nicht, er rührt sich nicht. Der Aff ist tot; ich muß ihn wohl beschwören. Nun wohl: Bei Rosalindens hellem Auge, Bei ihrer Purpurlipp und hohen Stirn, Bei ihrem zarten Fuß, dem schlanken Bein, Den üppgen Hüften und der Region, Die ihnen nahe liegt, beschwör ich dich, Daß du in eigner Bildung uns erscheinest.

BENVOLIO Wenn er dich hört, so wird er zornig werden.

MERCUTIO Hierüber kann ers nicht; er hätte Grund, Bannt ich hinauf in seiner Dame Kreis Ihm einen Geist von seltsam eigner Art Und ließe den da stehn, bis sie den Trotz Gezähmt und nieder ihn beschworen hätte. Das wär Beschimpfung! Meine Anrufung Ist gut und ehrlich; mit der Liebsten Namen Beschwör ich ihn, bloß um ihn aufzurichten.

BENVOLIO Komm! Er verbarg sich unter jenen Bäumen Und pflegt des Umgangs mit der feuchten Nacht. Die Lieb ist blind, das Dunkel ist ihr recht.

MERCUTIO Ist Liebe blind, so zielt sie freilich schlecht. Nun sitzt er wohl an einen Baum gelehnt Und wünscht, sein Liebchen wär die reife Frucht Und fiel ihm in den Schoß. Doch, gute Nacht, Freund Romeo! Ich will ins Federbett; Das Feldbett ist zum Schlafen mir zu kalt. Komm, gehn wir?

BENVOLIO Ja, es ist vergeblich, ihn Zu suchen, der nicht will gefunden sein.

(Beide ab.)

ZWEITE SZENE

(Capulets Garten)

(Romeo kommt.)

ROMEO Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt.

(Julia erscheint oben an einem Fenster.)

Doch still, was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost, und Julia die Sonne!-- Geh auf, du holde Sonn! Ertöte Lunen, Die neidisch ist und schon vor Grame bleich, Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend. O da sie neidisch ist, so dien ihr nicht! Nur Toren gehn in ihrer blassen, kranken Vestalentracht einher; wirf du sie ab! Sie ist es, meine Göttin, meine Liebe! O wüßte sie, daß sie es ist!-- Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das? Ihr Auge redt, ich will ihm Antwort geben.-- Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir. Ein Paar der schönsten Stern am ganzen Himmel Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen, In ihren Kreisen unterdes zu funkeln. Doch wären ihre Augen dort, die Sterne In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz Von ihren Wangen jene so beschämen Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd ihr Aug Aus luftgen Höhn sich nicht so hell ergießen, Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen? O wie sie auf die Hand die Wange lehnt! Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand Und küßte diese Wange!

JULIA Weh mir!

ROMEO Horch! Sie spricht. O sprich noch einmal, holder Engel! Denn über meinem Haupt erscheinest du Der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote Des Himmels dem erstaunten, über sich Gekehrten Aug der Menschensöhne, die Sich rücklings werfen, um ihm nachzuschaun, Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken Und auf der Luft gewölbtem Busen schwebt.

JULIA O Romeo! Warum denn Romeo? Verleugne deinen Vater, deinen Namen! Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten, Und ich bin länger keine Capulet!

ROMEO (für sich.) Hör ich noch länger, oder soll ich reden?

JULIA Dein Nam ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst, Und wärst du auch kein Montague. Was ist Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß, Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil Von einem Menschen. Sei ein andrer Name! Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, Wie es auch hieße, würde lieblich duften; So Romeo, wenn er auch anders hieße, Er würde doch den köstlichen Gehalt Bewahren, welcher sein ist ohne Titel. O Romeo, leg deinen Namen ab, Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist, Nimm meines ganz!

ROMEO (indem er näher hinzutritt.) Ich nehme dich beim Wort. Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft Und will hinfort nicht Romeo mehr sein.

William Shakespeare
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