Romeo und Julia

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Wahnsinnige sind taub.

ROMEO Wärs anders möglich? Sind doch Weise blind.

LORENZO Laß über deinen Fall mit dir mich rechten!

ROMEO Du kannst von dem, was du nicht fühlst, nicht reden. Wärst du so jung wie ich und Julia dein, Vermählt seit einer Stund, erschlagen Tybalt, Wie ich von Lieb entglüht, wie ich verbannt, Dann möchtest du nur reden, möchtest nur Das Haar dir raufen, dich zu Boden werfen Wie ich und so dein künftges Grab dir messen.

([Er wirft sich an den Boden.] Man klopft draußen.)

LORENZO Steh auf, man klopft; verbirg dich, lieber Freund!

ROMEO O nein, wo nicht des bangen Stöhnens Hauch Gleich Nebeln mich vor Späheraugen schirmt.

(Man klopft.)

LORENZO Horch, wie man klopft!--Wer da?--Fort, Romeo! Man wird dich fangen.--Wartet doch ein Weilchen!-- Steh auf

(Man klopft.)

und rett ins Lesezimmer dich!--

(Man klopft.)

Ja, ja! im Augenblick!--Gerechter Gott, Was für ein starrer Sinn!--ehn und dich zurückzurufen Mit zwanzighunderttausendmal mehr Freude, Als du mit Jammer jetzt von hinnen ziehst. Geh, Wärterin, voraus, grüß mir dein Fräulein; Heiß sie das ganze Haus zu Bette treiben, Wohin der schwere Gram von selbst sie treibt; Denn Romeo soll kommen.

WÄRTERIN O je, ich blieb hier gern die ganze Nacht Und hörte gute Lehr. Da sieht man doch, Was die Gelahrtheit ist!--Nun, gnädger Herr, Ich will dem Fräulein sagen, daß Ihr kommt.

ROMEO Tu das und sag der Holden, daß sie sich Bereite, mich zu schelten.

WÄRTERIN Gnädger Herr, Hier ist ein Ring, den sie für Euch mir gab. Eilt Euch, macht fort, sonst wird es gar zu spät.

(Ab.)

ROMEO Wie ist mein Mut nun wieder neu belebt!

LORENZO Geh! Gute Nacht! Und hieran hängt dein Los: Entweder geh, bevor man Wachen stellt, Wo nicht, verkleidet in der Frühe fort. Verweil in Mantua; ich forsch indessen Nach deinem Diener, und er meldet dir Von Zeit zu Zeit ein jedes gute Glück, Das hier begegnet. Gib mir deine Hand! Es ist schon spät. Fahr wohl denn! Gute Nacht!

ROMEO Mich rufen Freuden über alle Freuden, Sonst wärs ein Leid, von dir so schnell zu scheiden. Leb wohl!

(Beide ab.)

VIERTE SZENE

(Ein Zimmer in Capulets Hause)

(Capulet, Gräfin Capulet, Paris.)

CAPULET Es ist so schlimm ergangen, Graf, daß wir Nicht Zeit gehabt, die Tochter anzumahnen. Denn seht, sie liebte herzlich ihren Vetter. Das tat ich auch; nun, einmal stirbt man doch.-- Es ist schon spät, sie kommt nicht mehr herunter, Ich sag Euch, wärs nicht der Gesellschaft wegen, Seit einer Stunde läg ich schon im Bett.

PARIS So trübe Zeit gewährt nicht Zeit zum Frein; Gräfin, schlaft wohl, empfehlt mich Eurer Tochter!

GRÄFIN CAPULET Ich tu's und forsche morgen früh sie aus. Heut nacht verschloß sie sich mit ihrem Gram.

CAPULET Graf Paris, ich vermesse mich zu stehn Für meines Kindes Lieb; ich denke wohl, Sie wird von mir in allen Stücken sich Bedeuten lassen, ja ich zweifle nicht.-- Frau, geh noch zu ihr, eh du schlafen gehst, Tu meines Sohnes Paris Lieb ihr kund Und sag ihr, merk es wohl: auf nächsten Mittwoch! Still, was ist heute?

PARIS Montag, edler Herr.

CAPULET Montag? So, so! Gut, Mittwoch ist zu früh. Sei's Donnerstag!--Sag ihr: am Donnerstag Wird sie vermählt mit diesem edlen Grafen. Wollt Ihr bereit sein? Liebt Ihr diese Eil? Wir tuns im stillen ab: nur ein paar Freunde; Denn seht, weil Tybalt erst erschlagen ist, So dächte man, er läg uns nicht am Herzen, Als unser Blutsfreund, schwärmten wir zu viel. Drum laßt uns ein halb Dutzend Freunde laden Und damit gut. Wie dünkt Euch Donnerstag?

PARIS Mein Graf, ich wollte, Donnerstag wär morgen.

CAPULET Gut, geht nur heim! Sei's denn am Donnerstag.-- Geh, Frau, zu Julien, eh du schlafen gehst, Bereite sie auf diesen Hochzeittag.-- Lebt wohl, mein Graf!

(Paris ab.)

He! Licht auf meine Kammer! Nach meiner Weise ists so spät, daß wir Bald früh es nennen können. Gute Nacht!

([Capulet und die Gräfin ab.] Alle ab.)

FÜNFTE SZENE

(Eine offene Galerie vor Juliens Zimmer mit Blick auf den Garten)

(Romeo und Julia.)

JULIA Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang; Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort. Glaub, Lieber, mir: es war die Nachtigall.

William Shakespeare
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