Timon von Athen

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2. Senator. Sie bekennen, daß ihre Unachtsamkeit auf deine Verdienste zu allgemein, zu groß gewesen; die ganze Republik, (die sonst selten Palinodien zu singen pflegt,) hat durch das Gefühl, wie sehr ihr Timon mangelt, eine lebhafte Empfindung von dem Unrecht bekommen, das sie sich selbst angethan, indem sie dem Timon ihren Beystand entzogen; und sendet uns nun, dir darüber ihre reuvolle Bekümmerniß zu bezeugen, und dir zugleich einen Ersaz anzubieten, den ihr Vergehen nicht um eine Drachme überwiegen soll; ja so überhäufte Summen von Liebe, Ansehn und Reichthum, daß sie jede Spur der vergangnen Kränkungen in deinem Andenken auslöschen, und die Figuren ihrer Liebe so tief in dich eindrüken sollen, daß sie auf ewig unauslöschlich dauern werden.

Timon. Ihr bezaubert mich, überrascht mich durch eure Beredsamkeit beynahe zu Thränen; leiht mir eines Narren Herz, und die Augen eines Weibs, so will ich über diese tröstlichen Sachen weinen, würdige Senatoren.

1. Senator. Laß dir also gefallen mit uns zurük zu kehren, und die Ober- Befehlhabers-Stelle über unser Athen, dein und unser Athen, anzunehmen: Du sollt mit allgemeinen Dankbezeugungen eingeholt, und mit dem völligen Ansehn der höchsten Gewalt bekleidet werden; so werden wir bald die wilden Anfälle des Alcibiades zurük getrieben haben, der izt, wie ein ergrimmter Bär, den Frieden seines Vaterlands aufwühlt,

2. Senator. und sein dräuendes Schwerdt gegen die Mauern von Athen gezükt hält.

1. Senator. Daher, Timon--

Timon. Gut, mein Herr, ich will; daher will ich, mein Herr; so, nemlich-- Wenn Alcibiades meine Landsleute umbringt, so laßt den Alcibiades vom Timon dieses wissen, daß Timon sich nichts darum bekümmert. Wenn er das schöne Athen zu einem Steinhauffen macht, wenn er eure wakern alten Männer bey den Bärten zieht, und eure keuschen Jungfrauen der Beflekung des schaamlosen, viehischen, wüthenden Kriegs Preiß giebt, so laßt ihn wissen--und sagt ihm, Timon hab' es gesagt--Aus Mitleiden mit euern Alten und mit eurer Jugend kan ich nicht anders als ihm sagen lassen, daß ich--nichts darnach frage. Und laßt es ihn im schlimmsten Sinn nehmen als er will, denn ihre Messer fragen auch nichts darnach, daß ihr Gurgeln zum Antworten habt. Was mich selbst betrift, so ist in seinem ganzen zaumlosen Lager kein so kleines Taschen-Messer, das ich nicht höher schäze und liebe, als die ehrwürdigste Gurgel in Athen. Und hiemit überlaß ich euch der Obhut der Götter, wie Diebe ihren Hütern.

Flavius. Bleibet nicht länger, es ist alles umsonst.

Timon. Wie, ich war eben im Begriff, meine Grabschrift zu schreiben; morgen wird man sie sehen können. Meine lange Krankheit an Gesundheit und Leben fängt an sich zu bessern, und Nichts bringt mir Alles.--Geht, lebt immerhin; Alcibiades sey eure Geissel, ihr die seinige; und so daurt einander aus, so lang es möglich ist!

1. Senator. Alles, was wir reden könnten ist umsonst.

Timon. Und doch lieb' ich mein Vaterland noch; und bin keiner, der an dem allgemeinen Schiffbruch seine Freude hat, wie die Sage von mir geht.

1. Senator. Das ist wol gesprochen.

Timon. Empfehlt mich meinen werthesten Mitbürgern.

1. Senator. Das sind Worte, die euern Lippen wol anstehen!

2. Senator. Und in unsre Ohren, wie triumphierende Sieger durch ihre zujauchzenden Thore, eingehen.

Timon. Empfehlt mich ihnen, und sagt ihnen, um ihnen in ihren bekümmerten Umständen, ihrer Furcht vor feindlichen Streichen, ihren Drangsalen, ihrem grossen Verlust, ihren Liebes-Aengsten, und andern dergleichen zufälligen Wehen, die das zerbrechliche Gefäß der menschlichen Natur in der ungewissen Reise des Lebens auszustehen hat, einige Linderung zu verschaffen, woll' ich ihnen noch eine Probe von meiner gütigen Gemüthsart geben, und ihnen ein Mittel sagen, wodurch sie dem Grimm des Alcibiades zuvorkommen können.

2. Senator (leise.) Das geht ganz gut; er wird mit uns zurük kommen.

Timon. Ich habe einen Baum, der hier in meinem Einfang wächßt, und den ich zu meinem eignen Gebrauch nächstens fällen muß.

William Shakespeare
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