Timon von Athen

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Sagt meinen Freunden, den Atheniensern, allen ohne Ausnahm, von dem Höchsten bis zum Niedrigsten; daß ein jeder der Lust habe, allem seinem Leid ein Ende zu machen, unverzüglich hieher kommen, und eh noch mein Baum die Axt gefühlt hat, sich daran aufhängen soll--Ich bitte euch, richtet es wohl aus.

Flavius. Beunruhigt ihn nicht länger, ihr werdet ihn nie anders finden.

Timon. Kommt nicht wieder zu mir, sondern sagt den Atheniensern: Timon habe seine immerwährende Wohnung an dem äussersten Strande der gesalznen Fluth genommen, wo die ungestümen Wellen sie alle Tage einmal mit ihrem schwellenden Schaum bedeken werden. Dahin kommt, und laßt meinen Grabstein euer Orakel seyn. Schliesset euch nun, meine Lippen, und macht euern Verwünschungen ein Ende; Pest und Verderben vollende, was ihr vergessen habt; Gräber allein seyen der Menschen Arbeit, und Tod ihr Gewinn! Sonne, verbirg deine Stralen! Timon hat seinen Lauf vollbracht.

(Timon geht ab.)

1. Senator. Sein Unwille und Gram ist auf eine unzertrennliche Art mit seinem Wesen zusammengewachsen.

2. Senator. Unsre Hoffnung auf ihn ist todt; laßt uns zurük kehren, und sehen, was für andre Mittel uns in dieser äussersten Gefahr noch übrig sind.

1. Senator. Wir haben keinen Augenblik zu versäumen.

Vierte Scene. (Die Mauern von Athen.) (Zween andre Senatoren mit einem Boten treten auf.)

1. Senator (zum Bot.) Du hast grosse Mühe bey deiner Auskundschaftung gehabt; sind denn seine Linien so voll wie man sagt?

Bote. Ich habe die geringste Zahl angegeben; zudem, so macht er Anstalten, unmittelbar vor die Stadt anzurüken.

2. Senator. Wir sind in grosser Gefahr, wenn sie den Timon nicht mit sich bringen.

Bote. Ich begegnete unterwegs einem Courier, einem alten guten Freund von mir; wir sind zwar von entgegenstehenden Partheyen; allein unsre alte Liebe hatte doch Stärke genug, zu machen, daß wir wie gute Freunde mit einander sprachen. Dieser Mann war in Eile von Alcibiades nach Timons Höle abgeschikt mit Briefen, worinn er ihn einlud, seine Parthey wider eure Stadt zu verstärken, um so mehr als das Unrecht, so dem Timon angethan worden, eine von den Ursachen sey, die ihn in Waffen gesezt habe. (Andre Senatoren zu den Vorigen.)

1. Senator. Hier kommen unsre Brüder.

3. Senator. Redet nicht von Timon, erwartet nichts von ihm; man hört schon die Trummeln der Feinde, und das fürchterliche Stampfen ihrer Tritte füllt die Luft mit Staub. Hinein, und macht euch gefaßt; ich besorge, unsre Gegenwehr werde wenig helfen.

(Sie gehen ab.)

(Ein Soldat geht in den Wald hinein, und sucht den Timon.)

Soldat. Der Beschreibung nach muß dieses der Ort seyn. Wer ist hier? Antworte! he! Keine Antwort?--was ist diß?--ha! Timon todt ausgestrekt? Irgend ein wildes Thier muß dieses Grabmal aufgewühlt haben, denn hier lebt kein Mensch. Er ist todt, so ist's, und diß ist sein Grab--Was ist auf diesem Stein? Ich kan nicht lesen; aber ich will die Schrift in Wachs abdruken; unser General versteht alles, er ist alt an Wissenschaft, obgleich jung an Tagen; anstatt ihm seinen Freund zu bringen, bring ich ihm seine Grabschrift.

(Er geht ab.)

Fünfte Scene. (Vor den Mauern von Athen.) (Trompeten. Alcibiades zieht mit seinem Heer auf.)

Alcibiades. Verkündigt dieser feigen und von Wollust aufgelösten Stadt unsre fürchterliche Ankunft.

(Man hört Schamade schlagen. Die Senatoren lassen sich auf den Mauern sehen.)

Bis izt habt ihr ohne Scheu euerm ausschweiffenden Uebermuth den Zügel gelassen, und eure Willkühr zum Zwek der Geseze gemacht. Lange genug sind ich und andre, die im Schatten eurer Gewalt schliefen, mit verkehrten Waffen, wie Nachtwandrer, herumgeirret, und haben unsre Bedrükung umsonst in Klagen ausgehaucht. Nun ist die Zeit gekommen, da das überladne Mark unter der übermässigen Last ausruft: Es ist genug*; nun soll die keuchende Beleidigung sich in eure grosse Lehnstühle werfen, und ausschnauben; und der aufgeschwollne Uebermuth vor Angst allen seinen Wind fahren lassen, und mit emporsträubenden Haaren davon lauffen.

William Shakespeare
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