Hamlet, Prinz von Dännemark Page 01
Hamlet, Prinz von Dännemark.
William Shakespeare
Übersetzt von Christoph Martin Wieland
Ein Trauerspiel.
Personen.
Claudius, König in Dännemark.
Fortinbras, Prinz von Norwegen.
Hamlet, Sohn des vorigen, und Neffe des gegenwärtigen Königs.
Polonius, Ober-Kämmerer.
Horatio, Freund von Hamlet.
Laertes, Sohn des Polonius.
Voltimand, Cornelius, Rosenkranz und Güldenstern, Hofleute.
Oßrich, ein Hofnarr.
Marcellus, ein Officier.
Bernardo und Francisco, zween Soldaten.
Reinoldo, ein Bedienter des Polonius.
Der Geist von Hamlets Vater.
Gertrude, Königin von Dännemark, und Hamlets Mutter.
Ophelia, Tochter des Polonius, von Hamlet geliebt.
Verschiedene Damen, welche der Königin aufwarten.
Comödianten, Todtengräber, Schiffleute, Boten, und andre stumme
Personen.
Der Schau-Plaz ist Elsinoor.
Die Geschichte ist aus der Dänischen Historie des Saxo Grammaticus genommen.
Erster Aufzug.
Erste Scene. (Eine Terrasse vor dem Palast.) (Bernardo und Francisco, zween Schildwachen, treten auf.)
Bernardo. Wer da?
Francisco. Nein, gebt Antwort: Halt, und sagt wer ihr seyd.
Bernardo. Lang lebe der König!
Francisco. Seyd ihr Bernardo?
Bernardo. Er selbst.
Francisco. Ihr kommt recht pünktlich auf eure Stunde.
Bernardo. Es hat eben zwölfe geschlagen; geh du zu Bette, Francisco.
Francisco. Ich danke euch recht sehr, daß ihr mich so zeitig ablöset: Es ist bitterlich kalt, und mir ist gar nicht wohl.
Bernardo. Habt ihr eine ruhige Wache gehabt?
Francisco. Es hat sich keine Maus gerührt.
Bernardo. Wohl; gute Nacht. Wenn ihr den Horatio und Marcellus antreffet, welche die Wache mit mir bezogen haben, so saget ihnen, daß sie sich nicht säumen sollen. (Horatio und Marcellus treten auf.)
Francisco. Mich däucht, ich höre sie. halt! he! Wer da?
Horatio. Freunde von diesem Lande.
Marcellus. Und Vasallen des Königs der Dähnen.
Francisco. Ich wünsche euch eine gute Nacht.
Marcellus. Ich euch desgleichen, wakerer Kriegs-Mann; wer hat euch abgelößt?
Francisco. Bernardo hat meinen Plaz; gute Nacht.
(Er geht ab.)
Marcellus. Holla, Bernardo!--
Bernardo. He, wie, ist das Horatio?
Horatio. (Indem er ihm die Hand reicht) Ein Stük von ihm.
Bernardo. Willkommen, Horatio; willkommen, wakrer Marcellus.
Marcellus. Sagt, hat sich dieses Ding diese Nacht wieder sehen lassen?
Bernardo. Ich sah nichts.
Marcellus. Horatio sagt, es sey nur eine Einbildung von uns, und will nicht glauben, daß etwas wirkliches an diesem furchtbaren Gesichte sey, das wir zweymal gesehen haben; ich habe ihn deßwegen ersucht, diese Nacht mit uns zu wachen, damit er, wenn die Erscheinung wieder kömmt, unsern Augen ihr Recht wiederfahren lasse; und mit dem Gespenste rede, wenn er Lust dazu hat.
Horatio. Gut, gut; es wird nicht wiederkommen.
Bernardo. Sezt euch ein wenig, wir wollen noch einmal einen Angriff auf eure Ohren wagen, welche so stark gegen unsre Erzählung befestigt sind, deren Inhalt wir doch zwo Nächte nach einander mit unsern Augen gesehen haben.
Horatio. Gut, wir wollen uns sezen, und hören was uns Bernardo davon sagen wird.
Bernardo. In der leztverwichnen Nacht, da jener nemliche Stern, der westwärts dem Polar-Stern der nächste ist, den nemlichen Theil des Himmels wo er izt steht, erleuchtete, sahen Marcellus und ich--die Gloke hatte eben eins geschlagen--
Marcellus. Stille, brecht ab--Seht, da kommt es wieder. (Der Geist tritt auf.)
Bernardo. In der nemlichen Gestalt, dem verstorbnen König ähnlich.
Marcellus. Du bist ein Gelehrter, Horatio, rede mit ihm.
Bernardo. Sieht es nicht dem Könige gleich? Betrachte es recht, Horatio.
Horatio. Vollkommen gleich; ich schauere vor Schreken und Erstaunung.
Marcellus. Red' es an, Horatio.
Horatio. Wer bist du, der du dieser nächtlichen Stunde, zugleich mit dieser schönen Helden-Gestalt, worinn die Majestät des begrabnen Dähnen- Königs einst einhergieng, dich anmassest? Beym Himmel beschwör' ich dich, rede!
Marcellus. Es ist unwillig.