Isabella. Er will ihm das Leben nehmen, sagt ihr?
Lucio. Er hat das Urtheil schon gesprochen, und der Kerkermeister hat, wie ich höre, schon den Befehl wegen der Hinrichtung.
Isabella. Ach Himmel! Was kan ich ihm also helfen?
Lucio. Versucht die Macht, die ihr habt.
Isabella. Meine Macht? Ach! ich zweifle--
Lucio. Unsre Zweifel sind Betrüger, und bringen uns oft um das Gute, das wir gewinnen könnten, durch die blosse Furcht vor dem Versuch. Geht zu dem Stadthalter, und laßt ihn erfahren lernen, was die Bitten, die gebognen Knie und die Thränen der Schönheit über einen Mann vermögen.
Isabella. Ich will sehen was ich thun kan.
Lucio. Aber beschleuniget euch.
Isabella. Ich will nicht länger säumen, als um der würdigen Mutter Nachricht von meinem Geschäfte zu geben. Ich danke euch von Herzen; grüsset meinen Bruder: eh es Nacht ist, will ich ihm von meiner Ausrichtung Nachricht geben.
Lucio. Ich beurlaube mich von euch, schöne Schwester--
Isabella. Lebet wohl, mein gütiger Herr.
(Sie gehen ab.)
Zweyter Aufzug.
Erste Scene. (Der Palast.) (Angelo, Escalus, ein Richter, Bediente.)
Angelo. Wir müssen kein Schrek-Bild aus dem Gesez machen, das, die Raubvögel zu verscheuchen, aufgestellt wird; und ihm so lang einerley Gestalt lassen, bis die Gewohnheit macht, das sie sich darauf sezen, anstatt davor zu fliehen.
Escalus. Auch ist mein Rath, nur in diesem Fall einige Nachsicht verwalten zu lassen. Ach! der junge Mann den ich retten wollte, hatte einen sehr edeln Vatter. Ich halte Euer Gnaden für einen Mann von strenger Tugend; aber möchtet ihr die Ueberlegung machen, ob ihr selbst, wenn Zeit und Gelegenheit euerm Wunsch oder dem Trieb des feurigen Blutes günstig gewesen wäre, ob ihr nicht selbst in gewissen Augenbliken euers Lebens, in eben diesem Punct, weßwegen ihr ihn strafen wollt, gefehlt und das Gesez wider euch gereizt hättet.
Angelo. Ein anders ist, versucht werden, Escalus, ein anders, fallen. Ich läugne nicht, daß unter den zwölf Geschwornen, die über eines Gefangnen Leben sprechen sollen, einer oder zween seyn können, die noch grössere Diebe sind, als der den sie verhören. Die Gerechtigkeit straft nur die Verbrechen, die ihr bekannt sind. Was weiß das Gesez davon, daß Diebe über Diebe urtheilen? Es ist natürlich, daß wir bey einem Edelstein, den wir finden, still stehen und ihn aufheben, weil wir ihn sehen; aber wenn wir ihn nicht sehen, so treten wir auf ihn und denken nicht daran. Ihr könnt sein Vergehen dadurch nicht verringern, daß ihr voraussezt, ich habe auch solche Fehler machen können; aber dann, wenn ich, der ihn bestraft, mich würklich so vergehe, dann redet, und laßt mein eignes Urtheil mir den Tod zu erkennen. Mein Herr, er muß sterben! (Der Kerkermeister zu den Vorigen.)
Escalus. So sey es, wie eure bessere Einsicht es will.
Angelo. Wo ist der Kerkermeister?
Kerkermeister. Hier, zu Euer Gnaden Befehl.
Angelo. Sorget dafür, daß Claudio bis morgen um neun Uhr gerichtet werde. Bringt ihm seinen Beichtiger, laßt ihn vorbereitet werden; denn diese Zeit ist alles, was er noch zu leben hat.
(Kerkermeister geht ab.)
Escalus (vor sich.) Gut, der Himmel verzeihe ihm! und verzeih' uns allen! Einige steigen durch Sünde, andre fallen durch Tugend: Einige überwälzen sich in Lastern, und werden nur nicht zur Rede gestellet; andre müssen für einen einzigen Fehltritt die Straffe des grösten Verbrechens leiden.
Zweyte Scene. (Ellbogen, Schaum, Harlequin und Gerichtsdiener.)
Ellbogen. Kommt, führt sie her; wenn das nüzliche Leute im gemeinen Wesen sind, die nichts thun, als das Pflaster treten, und in H** Häusern herumschwärmen, so versteh ich nichts vom Gesez. Führt sie her.
Angelo. Was giebts, mein Herr? Wie heißt ihr? Wovon ist die Rede?
Ellbogen. Mit Euer Gnaden Erlaubniß, ich bin des armen Herzogs Policey- Aufseher in diesem Quartier, und mein Name ist Ellbogen. Ich appelliere an die Justiz, und bringe hier vor Euer Gnaden ein paar notorische Beneficanten.