Herzog. Liebt ihr den Mann, der euch zu Falle gebracht hat?

Juliette. Ja, so sehr als ich die Weibsperson liebe, die ihn zu Falle gebracht hat.

Herzog. Es scheint also, ihr habt aus beydseitigem Einverständniß gesündiget.

Juliette. So ist es.

Herzog. Also war eure Sünde von einer schwerern Art, als die Seinige.

Juliette. Ich bekenn' und bereu' es, mein Vater.

Herzog. Es ist billig, meine Tochter; aber bereut ihr eure Sünde vielleicht nur darum, weil sie euch in diese Schmach gebracht hat, anstatt aus Betrübniß daß ihr den Himmel beleidiget habt? Eine gewöhnliche Art von Reue, wodurch wir beweisen, daß wir den Himmel nicht suchen weil wir ihn lieben, sondern nur wenn wir seine Strafen fürchten.

Juliette. Es reut mich, in so fern es ein Uebel ist, und ich ertrage die Schmach mit Freuden.

Herzog. Bleibet bey dieser Gesinnung. Euer Mitschuldiger muß, wie ich höre, morgen sterben, und ich gehe izt zu ihm, ihn vorzubereiten. Also geb ich euch meinen Segen.

(Er geht ab.)

Zehnte Scene. (Der Palast.) (Angelo tritt auf.)

Angelo. Wenn ich beten oder mit geistlichen Gedanken mich unterhalten will, so bete ich, und denke an verschiedne Gegenstände; aber der Himmel hat nur meine leeren Worte, indeß mein Gemüth, ohne meine Zunge zu hören, auf Isabellen ankert. Der Himmel ist auf meinen Lippen, und der mächtige und schwellende Vorsaz der Sünde in meinem Herzen. Der Staat, worinn ich studirte, ist mir wie ein gutes Buch, das man so oft gelesen hat, bis man es überdrüßig worden ist; ja, diese Ernsthaftigkeit, auf die ich (laß niemand es hören) stolz war, könnt ich mit Aufgabe gegen eine leichte Feder vertauschen, die der Wind hin und her treibt. O! Plaz, o äusserliches Ansehen! Wie oft erzwingst du Ehrfurcht von den Thoren, und hintergehest selbst die weisern Seelen durch deine betrügliche Gestalt! Wir brauchen nur (guter Engel) auf des Teufels Horn zu schreiben, so ists nicht mehr des Teufels Horn-- (Ein Bedienter kommt herein.) Was giebts, wer ist da?

Bedienter. Eine gewisse Isabella, eine Nonne, verlangt vor Euer Gnaden gelassen zu werden.

Angelo. Führe sie herein--O Himmel! wie treibt mein Blut zu meinem Herzen, und entsezt auf einmal alle meine andern Theile ihrer nöthigen Stärke--So spielt der alberne Hauffe mit einem der in Ohnmacht sinkt; alle lauffen ihm zu Hülfe, und verstopfen dadurch die Luft, durch die er wieder aufleben könnte: Und so verlassen die Unterthanen, einen geliebten König zu sehen, ihre eignen Geschäfte, und drängen sich in dienstfertiger Zärtlichkeit zu seiner Gegenwart, wo ihre unbescheidene Liebe einer Beleidigung gleich sehen muß-- (Isabella kommt herein.) Wie geht es, schönes Mädchen?

Eilfte Scene.

Isabella. Ich komme zu hören, was Euer Gnaden beliebt--

Angelo. Daß ihr es wissen möchtet, würde mir besser belieben, als daß ihr darnach fragt. Euer Bruder kan nicht bey Leben bleiben.

Isabella. Ist es dieses?--Der Himmel erhalte Eu. Gnaden.

(Sie will gehen.)

Angelo. Und doch möcht' er noch eine Zeitlang leben, und das möchte seyn, so lang als ihr oder ich; aber er muß sterben.

Isabella. Durch euer Urtheil?

Angelo. Ja.

Isabella. Wenn, ich bitte euch? Laßt ihm wenigstens so viel Zeit als er nöthig hat, damit seine Seele geheilt werden könne.

Angelo. Ha? Pfui dieser garstigen Laster! Es wäre eben so gut denjenigen zu begnadigen, der einen schon gemachten Menschen aus der Natur weggestohlen hätte, als solchen Leuten, die das Bild des Himmels auf verbotne Stempel graben, ihre unverschämte Ueppigkeit zu verzeihen.

Isabella. So wird im Himmel geurtheilt, aber nicht auf Erden.

Angelo. Sagt ihr das? Nun will ich euch bald zum Stillschweigen bringen. Was wolltet ihr lieber, daß das gerechteste Gesez euerm Bruder das Leben nehme; oder daß ihr, um ihn zu retten, euern Leib eben so behandeln lassen müßtet, wie diejenige, die er beflekt hat?

Isabella. Gnädiger Herr, glaubt mir das, ich wollte lieber meinen Leib preiß geben als meine Seele.

Angelo. Ich rede nicht von eurer Seele; Sünden, wozu wir genöthiget werden, stehen nicht auf unsrer Rechnung.

William Shakespeare
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