Angelo. Er soll nicht sterben, wenn ihr meine Liebe begünstiget.

Isabella. Ich weiß daß eure Tugend die Freyheit hat, ein wenig schlimmer zu scheinen als sie ist, um andre auf die Probe zu sezen.

Angelo. Glaubt mir, auf meine Ehre, meine Worte erklären meine Absicht.

Isabella. Ha! was für eine Ehre? und was für eine Absicht? O! Schein! Schein! Ich will dich ausruffen, Angelo; siehe zu! Unterzeichne mir diesen Augenblik die Begnadigung meines Bruders, oder ich will so laut als ich schreyen kan, der Welt sagen, was für ein Mann du bist.

Angelo. Wer wird dir glauben, Isabella? Mein unbeflekter Name, mein strenges Leben, mein Ansehen im Staat, mein blosses Zeugniß wider dich, werden deine Anklage so sehr überwiegen, daß du in deiner eignen Aussage erstiken und nach Verläumdung stinken wirst. Der erste Schritt ist gethan, und nun will ich meinem sinnlichen Theil den Zügel lassen. Bereite dich meiner erhizten Begierde nachzugeben, lege alle Sprödigkeit, alle diese verzögernden Erröthungen ab, die das verbannen warum sie bitten; erlöse deinen Bruder, indem du deinen Leib meinem Willen überlassest; oder er muß nicht nur den Tod sterben, sondern deine Sprödigkeit soll seinen Tod durch langsame Martern verlängern. Bringe mir morgen die Antwort, oder, bey der Leidenschaft, die mich izt beherrschst, ich will ein Tyrann gegen ihn werden. Was euch betrift, sagt was ihr könnt; meine Lügen überwiegen eure Wahrheiten.

(Er geht ab.)

Isabella. Gegen wen soll ich mich beklagen? Würd' ich diß erzählen, wer würde mir glauben? Ich will zu meinem Bruder gehen. Ob er gleich durch Antrieb des wallenden Blutes gefallen ist, so hat er doch so viel Empfindung von Ehre, daß wenn er auch zwanzig Häupter auf zwanzig Blöke hinzustreken hätte, er eher sie alle hingeben würde, eh seine Schwester ihren Leib zu einer so schändlichen Beflekung mißbrauchen lassen sollte. Leb' also keusch, Isabella, und stirb du, Bruder; unsre Keuschheit ist mehr als unser Bruder; inzwischen will ich ihm das Zumuthen dieses Angelo kund machen, und ihn sterben lehren, damit seine Seele leben möge.

Dritter Aufzug.

Erste Scene. (Das Gefängniß.) (Der Herzog, Claudio und Kerkermeister treten auf.)

Herzog. Ihr hofft also Begnadigung von dem Stadthalter Angelo?

Claudio. Die Unglüklichen haben keine andre Arzney als Hoffnung: Ich hoffe zu leben, und bin bereitet zum Sterben.

Herzog. Stellt euch als gewiß vor, daß ihr sterben müßt; Tod oder Leben wird euch dadurch nur desto süsser werden. Redet so mit dem Leben: Verliehr ich dich, so verliehr ich ein Ding, das nur von Thoren hochgeachtet wird; was bist du als ein Hauch, allen Einflüssen der Elemente unterwürffig, welche diese Wohnung, worinn du dich aufhältst, stündlich beunruhigen; du bist nichts anders als des Todes Narr,* du arbeitest, ihm durch deine Flucht zu entgehn, und rennst ihm immer entgegen; du bist nicht edel, denn du nährst dich von den verächtlichsten Dingen; du bist nicht dapfer, denn du fürchtest die kleine und schwache Zange eines armen Wurms; dein bester Theil ist der Schlaf, du liebest ihn, und fürchtest doch den Tod, der nichts mehr ist. Du bist nichts Selbstbeständiges, denn du bestehst durch viele tausend Körner, die aus einem Staub hervorkeimen; glüklich bist du nicht, denn immer bestrebst du dich, was du nicht hast zu gewinnen, und zu vergessen was du hast; du bist nicht gewiß, denn dein Zustand wechselt, wie der Mond; wenn du reich bist, bist du doch arm, denn du trägst gleich einem mit Silberstangen beladnen Esel deinen schweren Reichthum nur eine Tagreise, und der Tod ladet dich ab; Freunde hast du keine, denn deine eigene Eingeweide, die dich Vater nennen, fluchen dem Podagra, der Gicht und dem Aussaz, daß sie dir nicht bälder ein Ende machen. Du hast weder Jugend noch Alter; beydes ist nur ein Traum in einem nachmittäglichen Schlaf; denn kaum ist das Feuer deiner Jugend verrochen, so steht sie ab, und bettelt Almosen von dem gichtbrüchigen Alter; und wenn du alt und reich bist, so hast du weder Güte, noch Hize, Trieb und Glieder, deines Reichthums froh zu werden.

William Shakespeare
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