Escalus. Ihr habt gegen den Himmel und den Gefangnen die Pflichten euers Berufs erfüllt. Ich habe mir für den armen Edelmann so viel Mühe gegeben, als es die Bescheidenheit zuließ; allein ich habe meinen Collegen Angelo so strenge gefunden, daß er mich genöthiget hat ihm zu sagen, er sey in der That die Gerechtigkeit selbst.

Herzog. Wenn sein eignes Leben mit der Strenge seines Richter-Amts übereinstimmt, wird es ihm wohl bekommen; wo nicht, so hat er sich selbst das Urtheil gesprochen.

Escalus. Ich gehe den Gefangnen zu besuchen; lebet wohl.

(Er geht ab.)

Achte Scene. (Der Herzog allein.)

Herzog. Wer das Schwerdt des Himmels tragen will, soll eben so heilig und unverwerflich seyn als er streng ist. Schaam über den, dessen tyrannische Hand die Verbrechen an andern bestraft, die er sich selbst nachsieht; dreyfache Schaam über Angelo, der andrer Laster ausreutet, und die seinigen wachsen läßt. O! was für Unrath kan in einem Menschen verborgen seyn, wenn er von aussen gleich ein Engel scheint! Wie leicht ist's dem Laster, unter dieser Gestalt, die Welt und die Zeit selbst zu betrügen, und mit schwachen Spinnenfaden die gewichtigsten Dinge, Reichthum, Macht und Ehre, an sich zu ziehen. Ich muß List gegen Laster gebrauchen. Diese Nacht soll seine ehmalige verlaßne und verschmähte Braut bey dem Angelo ligen, um durch einen unschuldigen Betrug die keusche Unschuld zu befreyen, und einen alten Eheverspruch gültig zu machen.

Vierter Aufzug.

Erste Scene. (Eine Scheuer.) (Mariane und ein kleiner Knabe treten singend auf. Der Herzog als ein Franciscaner-Mönch kommt dazu.)

Mariane. Hör auf zu singen, und begieb dich eilends hinweg. Hier kommt ein Mann des Trostes, dessen Zuspruch schon oft meinen murrenden Kummer gestillet hat--

(Zum Herzog.)

Ich bitte euch um Vergebung, mein ehrwürdiger Herr, und wünschte, daß ihr mich hier nicht so musicalisch angetroffen hättet; entschuldiget mich und glaubet mir, diese erzwungne Frölichkeit ist nur ein schwaches Lindrungsmittel meines Schmerzens.

Herzog. Es ist gut; obgleich die Musik oft eine so zaubrische Kraft hat, daß sie das Böse gut und das Gute böse machen kan. Ich bitte euch, hat niemand hier nach mir gefragt; es wird schon über die Zeit seyn, da ich versprochen habe, mit jemand an diesem Orte zusammen zu kommen.

Mariane. Es hat niemand bey mir nach euch gefragt, ob ich gleich den ganzen Tag hier gesessen bin. (Isabella kommt.)

Herzog. Ich glaube euch in allen Sachen;--Die Zeit ist gekommen, eben izt-- Ich muß euch um ein wenig Geduld bitten; ich werde euch sogleich wieder zurük rufen, um von einer Sache mit euch zu sprechen, die zu euerm Besten abgezielt ist.

Mariane. Ich werde euern Befehl erwarten.

(Sie geht ab.)

Zweyte Scene.

Herzog. Willkommen, Isabella, ihr haltet euer Wort genau; was giebt es Neues von dem ehrlichen Stadthalter?

Isabella. Er hat einen Garten, der mit einer Mauer von Ziegelsteinen eingeschlossen ist, und an der West-Seite an einen Weinberg stößt; hier ist der Schlüssel, der das Thor in diesen Weinberg aufschließt; und hier ein andrer, der eine kleine Thür öffnet, die aus dem Weinberg in den Garten führt. Hier habe ich versprochen, in der finstern Mitternacht ihm einen Besuch zu geben.

Herzog. Aber seyd ihr auch gewiß, den Weg zu finden?

Isabella. Er hat mir denselben mit einer so grossen Sorgfalt zu wiederholten malen gezeigt, daß ich ihn ganz genau angeben kan.

Herzog. Sind keine andre Verabredungen zwischen euch genommen worden, die das Frauenzimmer wissen muß, das eure Stelle vertreten wird?

Isabella. Keine andre, als daß die Zusammenkunft im Finstern geschehen soll; und daß ich ihm beygebracht, mein Aufenthalt könne nur sehr kurz seyn, indem ich mit einer Magd kommen werde, die, in der Meynung, daß ich eine heimliche Zusammenkunft mit meinem Bruder habe, auf mich warten solle.

Herzog. Das ist wohl ausgesonnen. Aber ich habe Marianen noch kein Wort von der Sache entdekt. Ha! kommt heraus, wenn es euch beliebt!

Dritte Scene. (Mariane zu den Vorigen.)

Herzog (zu Isabella.) Ich bitte euch, macht Bekanntschaft mit diesem jungen Frauenzimmer; sie kommt, euch Gutes zu thun.

William Shakespeare
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