Herzog. Mein Herr, eure Gesellschaft ist schöner als ehrenhaft: Bleibt ein wenig zurük oder geht voraus, wenn ich bitten darf.

Lucio. Mein Seel, ich gehe mit dir, bis die Gasse zu Ende ist; wenn dir H**jägers-Discourse ärgerlich sind, so wollen wir sparsam damit seyn; mein Seel, Frater, ich bin eine Art von Klette, ich hänge mich an.

(Sie gehen ab.)

Zwölfte Scene. (Der Palast.) (Angelo. Escalus.)

Escalus. Jeder Brief den er geschrieben hat, widerspricht dem vorhergehenden.

Angelo. Seine Handlungen sehen dem Wahnwiz nur allzu gleich. Der Himmel gebe, daß sein Verstand nicht angegriffen seyn möge! Und warum sollen wir ihm vor dem Thor entgegen kommen, und unsre Ämter dort niederlegen?

Escalus. Das kan ich nicht errathen.

Angelo. Und warum sollen wir eine Stunde vor seinem Einzug ausruffen lassen, daß wofern irgendjemand sich durch einen ungerechten Spruch beschwert zu seyn glaube, er seine Bitte auf der Strasse übergeben solle?

Escalus. Für dieses sagt er uns seine Ursache; seine Absicht ist, allen Klagen auf einmal abzuhelfen, und uns fürs künftige gegen Beschwerungen sicher zu stellen, die hernach keine Kraft mehr gegen uns haben sollen.

Angelo. Gut; ich bitte euch, laßt den Ausruf morgen bey Zeiten geschehen; ich will euch in euerm Hause abholen: Lasset es alle diejenige wissen, denen es zusteht, ihm mit uns entgegen zu gehen.

Escalus. Ich werde nicht ermangeln, mein Herr; lebet wohl.

Angelo. Gute Nacht. Diese That entmannet mich gänzlich, macht mich unfähig zum Denken, und ungeschikt zu allem was ich thun soll? Eine geschändete Jungfrau! Und von wem? Von demjenigen, der das Gesez wider solche Verbrechen in seiner ganzen Strenge gelten machte. Allein, ausserdem daß ihre zärtliche Schaamhaftigkeit sich nicht wird überwinden können, den Verlust ihrer jungfräulichen Ehre selbst auszuruffen, was würde ihr Zeugniß gegen mich vermögen? Was ich auch sagen mag, so kan ich allemal ihrem Nein troz bieten. Mein Ansehen ist zu groß, zu befestigt, als daß irgend eine Beschuldigung von dieser Art an mir haften könnte, und nicht mit Schaam auf denjenigen zurückfiele, der meinen Ruhm anhauchen wollte-- Ich hätte ihn leben lassen, wenn ich nicht besorgt hätte, seine hizige Jugend möchte dereinst seine beleidigte Ehre rächen, ohne sich mir für ein Leben verbunden zu halten, das er mit einer solchen Schande erkauffen mußte. Und doch wünschte ich, daß er noch lebte! Himmel! Wie unglüklich sind wir, wenn wir nur einmal unsrer Pflicht vergessen haben! Wie schnell reißt uns eine böse That zur andern fort! Und wie wenig bleiben wir Meister über das, was wir wollen oder nicht wollen!

(Geht ab.)

Dreyzehnte Scene. (Eine Gegend vor der Stadt.) (Der Herzog in seiner eignen Kleidung, und Bruder Peter.)

Herzog. Vor allen Dingen gebt diese Briefe ab, wohin sie gehören. Der Kerkermeister weiß bereits von unserm Vorhaben und von der Veranstaltung desselben. Wenn die Sache einmal anhängig gemacht ist, so spielet eure Rolle wohl, und haltet euch immer an eure besondere Instruction, ob ihr gleich zuweilen einen kleinen Absprung machen könnt, wenn es die Gelegenheit erfordert: Geht, suchet den Flavius auf, und sagt ihm, wo ich anzutreffen bin; eben diese Nachricht gebt auch dem Valentius, Roland und Crassus, und befehlet ihnen, die Trompeten vor das Thor bringen zu lassen. Aber schiket vorher zu dem Flavius.

Peter. Es soll aufs schleunigste geschehen.

(Peter geht ab.)

(Varrius.)

Herzog. Ich danke dir, Varrius; du bist sehr hurtig gewesen; Komm, wir wollen auf und abgehen; Es sind noch andre gute Freunde, die uns hier grüssen werden, mein werther Varrius.

(Sie gehen ab.)

Vierzehnte Scene. (Isabella und Mariane treten auf.)

Isabella. Ich verstehe mich ungern dazu, so viele Umschweife zu gebrauchen; ich möchte die Wahrheit sagen; aber ihn so geradezu anzuklagen, ist eure Rolle; die meinige ist mir so vorgeschrieben; er sagt, daß es zu Erreichung unsrer Absicht nöthig sey.

Mariane. Ueberlaßt es ihm, euch zu sagen, was ihr thun sollt.

William Shakespeare
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