Desdemona. Ach, mein lieber guter Cassio, meine Fürsprache ist dermalen sehr unvermögend; mein Gemahl ist nicht mein Gemahl; ich würde ihn nicht mehr kennen, wenn er sich an Gestalt so sehr wie am Humor, verändert hätte. So stehe jeder gute Engel mir bey, wie ich nach meinem äussersten Vermögen für euch gesprochen habe. Aber alles was ich durch meine Freymüthigkeit erhielt, war, daß ich mir seinen Unwillen zuzog. Ihr müßt euch noch ein wenig gedulden; was ich thun kan, das will ich: Und ich will mehr als ich Herz hätte für mich selbst zu thun. Laßt euch das genug seyn.

Jago. Ist der General zornig?

Aemilia. Er gieng nur erst von hier fort, und, versichert, er ist in einer seltsamen Gemüths-Unruhe.

Jago. Kan er zornig seyn? Ich war dabey, wie die Canone seine Linien in die Luft zerstiebte, und so schnell und gewaltsam wie der Teufel, seinen Bruder unmittelbar an seiner Seite wegrafte; und kan er zornig seyn? So muß etwas wichtiges daran Ursache seyn; ich will gehn und ihn aufsuchen; in der That, das bedeutet was, wenn er zornig ist.

(Er geht ab.)

Zwölfte Scene. (Desdemona, Aemilia und Cassio bleiben.)

Desdemona. Ich bitte dich, thu das--Ganz gewiß muß etwas das den Staat betrift, entweder von Venedig, oder irgend ein unausgebrütetes Complot hier in Cypern, wovon er die Entdekung gemacht hat, seinen sonst immer heitern Geist verfinstert haben; und in solchen Fällen ist es die Art der Menschen, daß sie ihren Unmuth an geringern Dingen auslassen, wenn gleich grosse ihr Gegenstand sind. Es ist nicht anders. Es darf uns nur ein Finger weh thun, so verbreitet sich auch über unsre übrigen gesunden Gliedmassen ein Gefühl von Schmerz. Nein, wir müssen denken, daß unsre Männer keine Götter sind; wir können nicht von ihnen fordern, daß sie immer so zärtlich mit uns umgehen, als sie vor der Hochzeit thun. Schilt mich nur recht sehr aus, Aemilia; ich unartiges Ding, ich war schon im Begriff seiner Unfreundlichkeit in meinem Herzen den Proceß zu machen; aber nun find' ich, daß meine Eigenliebe den Zeugen bestochen hat, und daß er ungerechter Weise angeklagt worden ist.

Aemilia. Gebe der Himmel, daß es Staats-Sachen seyen, wie ihr glaubt, und keine eifersüchtige Grillen, die euch angehen.

Desdemona. Das wäre gar zu unglüklich! Ich gab ihm niemals Ursache dazu.

Aemilia. Eifersüchtige Gemüther lassen sich damit nicht beruhigen; sie sind nicht allezeit eifersüchtig, weil sie eine Ursache dazu haben, sondern oft nur, weil sie eifersüchtig sind. Die Eifersucht ist ein Ungeheuer, daß keinen andern Vater und keine andre Mutter hat als sich selbst.

Desdemona. Der Himmel bewahre Othello's Herz vor diesem Ungeheuer!

Aemilia. Dazu sag ich Amen, Gnädige Frau.

Desdemona. Ich will sehen, wo er ist. Cassio, entfernt euch nicht zu weit; wenn ich ihn in einer bessern Laune finde, so will ich euer Anligen wieder in Bewegung bringen, und das äusserste versuchen, um glüklich damit zu seyn.

Cassio. Ich danke Eu. Gnaden demüthig.

(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)

Dreyzehnte Scene. (Eine Strasse vor dem Pallast.) (Cassio, tritt wieder auf, und begegnet der Bianca.)

Bianca. Guten Tag, Freund Cassio.

Cassio. Was führt euch hieher? Wie steht's mit euch, meine schönste Bianca? In der That, mein Herzchen, ich war im Begriff bey euch anzusprechen.

Bianca. Und ich war im Begriff euch einen Besuch in euerm Quartier abzustatten, Cassio. Wie? eine ganze Woche wegbleiben? Sieben Tag' und Nächte? Hundert und acht und sechszig Stunden? Und eines Liebhabers Abwesenheits-Stunden, die hundert und sechszig mal langweiliger sind als der Stunden-Zeiger. O! eine verdrießliche Rechnung!

Cassio. Vergieb mir, Bianca; ich war diese Zeit über von bleyernen Gedanken zu Boden gedrükt; aber ich werde in einer glüklichern Zeit diese lange Rechnung von Abwesenheit zu tilgen wissen. Liebste Bianca, zeichne mir diesen Riß ab--

(Er giebt ihr Desdemonens Schnupftuch.)

Bianca. O Cassio, woher habt ihr das? Das hat mir die Mine von einem Liebes-Pfand irgend einer neuern Freundin: Nun merk' ich die Ursache deiner Abwesenheit die mir so schmerzlich war: Ist es dazu gekommen? Wohl, wohl!

Cassio. Geh, Mädchen, und wirf deine häßlichen Muthmassungen dem Teufel in die Zähne, von dem du sie hast.

William Shakespeare
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