Romeo und Julia

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Dieser Tag Währt so verdrießlich lang mir wie die Nacht Vor einem Fest dem ungeduldgen Kinde, Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.

(Die Wärterin mit einer Strickleiter.)

Da kommt die Amme ja, die bringt Bericht, Und jede Zunge, die nur Romeo Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel.

(Die Amme tritt auf mit einer Strickleiter.)

Nun, Amme? Sag, was gibts, was hast du da? Die Stricke, die dich Romeo hieß holen?

WÄRTERIN Ja, ja, die Stricke!

(Sie wirft sie auf die Erde.)

JULIA Weh mir! Was gibts? Was ringst du so die Hände?

WÄRTERIN Daß Gott erbarm! Er ist tot, er ist tot, er ist tot! Wir sind verloren, Fräulein, sind verloren! O weh uns! Er ist hin! Ermordet! Tot!

JULIA So neidisch kann der Himmel sein?

WÄRTERIN Ja, das kann Romeo; der Himmel nicht. O Romeo, wer hätt es je gedacht? O Romeo, Romeo!

JULIA Welch Teufel bist du, daß du so mich folterst? Die grause Hölle nur brüllt solche Qual. Hat Romeo sich selbst ermordet? Sprich! Und sagt du "Ja", vergiftet dieser Laut Mehr als des Basilisks todbringend "Aug". Ich bin nicht "ich", wenns gibt ein solches "Ja", Dies Auge zu, das dich zwingt zu dem "Ja".

{Ein Wortspiel mit den Wörtern "aye" (ja), "I" (ich) und "eye" (Auge), die alle gleich ausgesprochen werden.}

Ist er entleibt, sag ja, wo nicht, sag nein! Ein kurzer Laut entscheidet Wonn und Pein.

WÄRTERIN Ich sah die Wunde, meine Augen sahn sie --Behüte Gott!--auf seiner tapfern Brust; Die blutge Leiche, jämmerlich und blutig, Bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut besudelt, Ganz starres Blut--de wieder! Pulsschlag, hemme dich! Ein Sarg empfange Romeo und mich!

WÄRTERIN O Tybalt, Tybalt! O mein bester Freund! Leutselger Tybalt, wohlgesinnter Herr! So mußt ich leben, um dich tot zu sehn?

JULIA Was für ein Sturm tobt so von jeder Seite? Ist Romeo erschlagen? Tybalt tot? Mein teurer Vetter? Teuerster Gemahl? Dann töne nur des Weltgerichts Posaune! Wer lebt noch, wenn dahin die beiden sind?

WÄRTERIN Dahin ist Tybalt, Romeo verbannt; Verbannt ist Romeo, der ihn erschlug.

JULIA Gott! Seine Hand, vergoß sie Tybalts Blut?

WÄRTERIN Sie tats, sie tats! O weh uns, weh, sie tats!

JULIA O Schlangenherz, von Blumen überdeckt! Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je? Holdselger Wütrich! Engelgleicher Unhold! Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier! Verworfne Art in göttlichster Gestalt! Das rechte Gegenteil des, was mit Recht Du scheinest: ein verdammter Heiliger, Ein ehrenwerter Schurke!--O Natur! Was hattest du zu schaffen in der Hölle, Als du des holden Leibes Paradies Zum Lustsitz einem Teufel übergabst? War je ein Buch, so arger Dinge voll, So schön gebunden? Oh, daß Falschheit doch Solch herrlichen Palast bewohnen kann!

WÄRTERIN Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit Ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig, Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler!-- Wo ist mein Diener? Gebt mir Aquavit! Die Not, die Angst, der Jammer macht mich alt. Zu Schanden werde Romeo!

JULIA Die Zunge Erkranke dir für einen solchen Wunsch! Er war zur Schande nicht geboren; Schande Weilt mit Beschämung nur auf seiner Stirn. Sie ist ein Thron, wo man die Ehre mag Als Allbeherrscherin der Erde krönen. O wie unmenschlich war ich, ihn zu schelten!

WÄRTERIN Von Eures Vetters Mörder sprecht Ihr Gutes?

JULIA Soll ich von meinem Gatten Übles reden? Ach, armer Gatte! Welche Zunge wird Wohl deinem Namen Liebes tun, wenn ich, Dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen? Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter? Der Arge wollte den Gemahl erschlagen. Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen! Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll, Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar. Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet, Und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte. Dies alles ist ja Trost: was wein ich denn? Ich hört ein schlimmres Wort als Tybalts Tod, Das mich erwürgte; ich vergäß es gern! Doch ach, es drückt auf mein Gedächtnis schwer Wie Freveltaten auf des Sünders Seele. Tybalt ist tot und Romeo verbannt! O dies "Verbannt", dies eine Wort "Verbannt" Erschlug zehntausend Tybalts.

William Shakespeare
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