Diß ist die Wahrheit, oder laßt Benvolio sterben.

Lady Capulet. Er ist ein Verwandter von den Montaguen, die Freundschaft macht ihn verdächtig, er sagt nicht die Wahrheit. Es waren ihrer wenigstens zwanzig gegen den einzigen Tybalt, weniger als diese zwanzig hätten nichts über ihn vermocht. Ich verlange Justiz, Prinz, und es ist nicht in deiner Gewalt sie abzuschlagen. Romeo tödtete Tybalt, Romeo soll nicht leben!

Prinz. Romeo erschlug ihn, und er erschlug den Mercutio--von wem soll dann ich das werthe Blut meines Anverwandten fordern?

Lady Montague. Nicht von Romeo, Prinz, er war Mercutio's Freund: Sein ganzer Fehler war, daß er dem Mörder Tybalt das Leben nahm, welches ihm das Gesez ohnehin genommen hätte.

Prinz. Und dieses Verbrechens wegen verbannen wir ihn von Stund an aus Verona--Euere Feindschaft, euer ungezähmter Groll kostet mich mein eignes Blut, es ist hohe Zeit um meiner eignen Sicherheit willen ihm Einhalt zu thun. Ich will es, ich will durch den Zwang der Straffen erhalten, was Drohung nicht vermocht hat. Keine Entschuldigungen! Keine Vorbitten! weder Thränen noch Fußfälle sollen die ermüdete Gerechtigkeit versöhnen--Laßt Romeo unverzüglich fliehen, oder die Stunde, worinn er ergriffen wird, ist seine lezte--Traget diesen Leichnam von hinnen, und erwartet meinen fernern Willen--Gnade wird selbst zur Mörderin, wenn sie Mördern vergiebt.

(Sie gehen ab.)

Vierte Scene. (Verwandelt sich in ein Zimmer in Capulets Haus.) (Juliette tritt allein auf.)

Juliette. Eilet, eilet davon, ihr feurigen Rosse der Sonne, euerm Nachtlager zu--ein solcher Führer, wie Phaeton war, würde euch bald nach Westen gepeitscht, und in einem Augenblik den Tag in düstre Nacht verwandelt haben--Spreite deinen dichten Vorhang aus, Liebebefördernde Nacht! daß die Augen des müden Phöbus niken, und unbesprochen und ungesehn Romeo in diese Arme fliege. Liebende sehen genug zu ihren zärtlichen Geheimnissen beym Glanz ihrer eignen Schönheiten: Oder wenn die Liebe blind ist, so taugt sie am besten zur Nacht. Komm, stille Nacht, gleich einer sittsamen Matrone ganz in Schwarz gekleidet; komm und lehre mich ein gewinnreiches Spiel verliehren, das um ein paar unbeflekte Jungferschaften gespielt wird--Verhülle das unbemannte Blut, das meine Wangen erhizt, in deinen schwarzen Schleyer, bis die ungewohnte Liebe kühner wird, und in ihren brünstigsten Ausbrüchen nichts als Unschuld findt. Komm, Nacht, komm, Romeo, komm du Tag in der Nacht, denn du wirst auf den Flügeln der Nacht weisser als Schnee auf eines Raben Rüken ligen; komm, holde Nacht, komm, liebende, schwarz-augichte Nacht! Gieb mir meinen Romeo, und wenn er einst sterben muß, so nimm ihn und schneid ihn in kleine Sterne aus, und er wird dem Antliz des Himmels eine so reizende Anmuth geben, daß die ganze Welt in die Nacht verliebt werden, und den Flitter-Glanz der Sonne nichts mehr achten wird--O wie lang, wie verdrießlich lang ist dieser Tag, so lang, wie die Nacht vor einem Festtag einem ungeduldigen Kinde, das neue Kleider bekommen hat, und sie noch nicht tragen darf. O, hier kommt meine Amme-- (Die Amme mit einer Strik-Leiter.) und bringt mir Nachrichten-- jede Zunge, die meines Romeo Namen ausspricht, ist die Zunge eines Engels für mich--Nun Amme, was giebt's neues? Was hast du hier? Die Strik-Leiter die Romeo dich holen hieß?

Amme. Ja, ja, die Strik-Leiter--

Juliette. Weh mir! was ist begegnet? warum ringst du die Hände?

Amme. Ach! daß's Gott erbarm'! er ist todt, er ist todt, er ist todt! wir sind verlohren, Fräulein, wir sind verlohren!--Ach, daß's Gott erbarm! er ist hin, er ist umgebracht, er ist todt!

Juliette. Kan der Himmel so mißgünstig seyn?

Amme. Was der Himmel nicht kan, kan Romeo--O Romeo! Romeo! Wer hätte sich das einbilden können, Romeo?

Juliette. Was für ein Teufel bist du, der mich so martert? Diese Folter sollte im Abgrund der Hölle geheult werden! Hat Romeo sich selbst ermordet? Sag nur ja, und diese einzige Sylbe wird mich schneller vergiften als das todtschiessende Auge des Basilisken.

William Shakespeare
Classic Literature Library

All Pages of This Book