Fürst. Wir haben dich jederzeit als einen heiligen Mann gekannt. Wo ist Romeo's Diener? Was kan Er von der Sache berichten?

Balthasar. Ich brachte meinem Herren die Zeitung von Julia's Tod, und sogleich kam er mit Post-Pferden von Mantua hieher, unmittelbar hieher, zu dieser nehmlichen Gruft; übergab mir diesen Brief an seinen Vater, und dräute mir, indem er auf die Gruft zugieng, den Tod, wenn ich nicht weggehen und ihn allein lassen wollte.

Fürst. Gieb mir den Brief, ich will ihn übersehen--Wo ist des Grafen Knabe, der die Wache herbeyholte? Bursche, was machte dein Herr an diesem Orte?

Knabe. Er kam, das Grab seiner Geliebten mit Blumen zu bestreuen, und befahl mir von Ferne stehn zu bleiben, wie ich auch that; bald darauf kommt einer mit einem Licht, die Gruft zu öffnen, und augenbliklich zieht mein Herr den Degen gegen ihn; und da lief ich und holte die Wache.

Fürst. Dieser Brief bekräftiget die Erzählung des Ordens-Manns--und hier schreibt er, daß er Gift von einem armen Apotheker gekauft, und damit in diese Gruft gekommen sey, um zu sterben und in Juliettens Grab zu ligen--Wo sind diese Feinde? Capulet! Montague! Seht hier die Ruthe, womit euere Unversöhnlichkeit gezüchtiget wird; seht wie der Himmel Mittel findet, durch die Liebe selbst die Freuden euers Lebens zu tödten. Auch ich, weil ich zuviel Nachsicht gegen euere Uneinigkeiten hatte, habe zween Verwandte verlohren: Wir sind alle gestraft!

Capulet. O Bruder Montague, gieb mir deine Hand; das ist meiner Tochter Witthumb--mehr kan ich nicht verlangen.

Montague. Aber ich kann dir mehr geben; denn ich will ihre Bild-Säule von gediegnem Gold aufstellen, daß, so lange Verona diesen Namen trägt, kein Denkmal dem Denkmal der zärtlichen und getreuen Juliette gleich geschäzt werde!

Capulet. Eben so glänzend soll Romeo bey seiner Gattin ligen; theure, unglükliche Opfer unsrer unseligen Feindschaft!

Fürst. Dieser Morgen bringt uns einen düstern Frieden, und die Sonne selbst scheint trauernd ihr Haupt verhüllt zu haben--Geht, und erwartet unsre Entscheidung, was in diesem unglüklichen Handel Strafe und was Verzeihung verdient--[Ihr aber, getreue Liebende, die ein allzustrenges Schiksal im Leben getrennt, und nun ein freiwilliger Tod auf ewig vereiniget hat, lebet, Juliette und Romeo, lebet in unserm Andenken, und die späteste Nachwelt möge das Gedächtniß eurer unglüklichen Liebe mit mitleidigen Thränen ehren!]

Romeo und Juliette, von William Shakespeare (Übersetzt von Christoph Martin Wieland).

William Shakespeare
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