Timon von Athen

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Nichts will ich aus dir hinaustragen als Naktheit, du abscheuliche Stadt! Nimm noch, mit vervielfachten Flüchen, diese Versicherung: Timon will in den Wald, wo er die wildesten Thiere milder als den Menschen finden wird. Die Götter verderben (o hört mich, ihr guten Götter alle!) die Athenienser inner- und ausserhalb ihrer Mauern, und verleihen, daß mit jedem Tage seines Lebens Timons Haß gegen das ganze Geschlecht der Menschen wachse!

(Geht ab.)

Zweyte Scene. (Verwandelt sich in Timons Haus.) (Flavius mit zween oder dreyen Bedienten.)

1. Bedienter. Hört ihr, guter Herr Verwalter, wo ist unser Herr? Sind wir verdorben, ist alles aus, ist nichts übrig?

Flavius. Ach, meine lieben Cameraden, was soll ich euch sagen? So wahr als ich wünsche, daß die wohlthätigen Götter sich meiner erinnern, ich bin so arm als ihr.

1. Bedienter. Daß ein solches Haus gebrochen, ein so edler Herr gefallen seyn soll! Alles hin! und nicht ein einziger Freund, der ihm in seinem Unglük unter die Arme greiffe?

2. Bedienter. Wie wir uns von einem Bekannten wegwenden, der in sein Grab gesenkt worden, so schleichen seine Freunde von seinem begrabnen Glüksstand alle hinweg, hinterlassen ihm ihre treulosen Schwüre und Versprechungen; und er selbst, ein dem freyen Himmel preißgegebner Bettler, mit einem Uebel das alle Welt von ihm scheucht, mit Dürftigkeit behaftet, geht, bleibt, gleich der Verachtung, allein.-- Noch mehr von unsern Cameraden. (Es treten noch einige Bediente auf.)

Flavius. Lauter zerbrochnes Geräthe eines zerstörten Hauses!

3. Bedienter. Doch tragen unsre Herzen noch Timons Liverey, das seh' ich in euer aller Gesicht. Wir sind noch alle Cameraden, die, da sie ihrem Herrn sonst nichts mehr dienen können, ihre Treu durch ihren Kummer zeigen. Unsre Barke ist lek, und wir armen Tropfen stehen auf dem sinkenden Verdek, und hören die Wellen dräuen; wir müssen alle in dem Meer der weiten Luft, jeder so gut er kan, seine Rettung suchen.

Flavius. Meine guten Cameraden, ich will das äusserste meines Vermögens mit euch theilen. Wo wir uns jemals wieder antreffen, wollen wir, um Timons willen, immer gute Freunde seyn, unsre Köpfe schütteln, und sagen: Wir haben bessere Tage gesehen. Jeder nehme seinen Antheil; nein, streket alle eure Hände aus--Kein Wort mehr --

(Er giebt ihnen Geld, sie umarmen einander und scheiden, der eine diesen, der andre einen andern Weg.)

Wer wollte sich Reichthum wünschen, wenn Reichthum in Elend und Verachtung aufhört? Wer wollte (nach diesem Beyspiel,) sich durch einen Traum von schimmerndem Glük und Freundschaft täuschen lassen? Durch ein Gepränge von Herrlichkeit und Wohlleben, aber alles nur gemahlt, wie diese gefirnißten Freunde! Mein armer redlicher Herr! durch sein eignes gutes Herz so weit herunter gebracht! Durch Güte zu Grunde gerichtet! Wie seltsam, daß zuviel Güte eines Menschen gröste Sünde seyn soll! Unbegränzte Güte macht Götter, und verderbt Menschen--Mein theurester Herr, einst so glüklich um desto elender, so reich um desto dürftiger zu seyn; dein grosser Wohlstand ist die Gelegenheit zu deinen grösten Widerwärtigkeiten worden! Ach! der gütige Herr! Er ist in Wuth aus dem undankbaren Siz unnatürlicher Freunde geflohen, und hat nichts mit sich genommen, was sein Leben unterhalten, oder diesen Unterhalt verschaffen kan. Ich will ihm folgen und ihn aufsuchen; ich will ihm um seines Herzens willen immer mit bestem Willen dienen, und, so lang ich Gold habe, immer sein Verwalter bleiben.

(Er geht ab.)

Dritte Scene. (Der Wald.) (Timon tritt auf.)

Timon. O Sonne, Quelle der segensvollesten Einflüsse, ziehe faule Dünste aus der Erde, und vergifte die Luft unter deiner Schwester Kreis-- Zwillings-Brüder, zugleich gezeugt, von einer Mutter gebohren und gesäugt, sind im Glüke getheilt. Der Grössere verschmäht den Kleinern. Die menschliche Natur selbst, sie, die von so unzählbaren Uebeln belagert wird, kan zu keinem grossen Glüke kommen, ohne sich ihrer selbst zu schämen. Erhebt mir diesen Bettler und zieht mir diesen Lord aus, so wird der Lord so verachtet seyn, als ob er zum Bettler gebohren worden wäre, und der Bettler geehrt werden, als ob er kein gebohrner Bettler wäre.

William Shakespeare
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