Herzog. Bey meiner Ehre, wenn sie unsinnig ist, wie ich nicht anders glaube, so hat doch ihr Unsinn die seltsamste Gestalt von Vernunft; so viel Zusammenhang in allem was sie spricht, als ich jemals in den Reden eines Wahnwizigen gehört habe.

Isabella. Gnädigster Herr, bleibet doch nicht immer auf dieser Einbildung; verwerfet die Vernunft nicht, weil sie unwahrscheinliche Dinge sagt; sondern bedient euch der eurigen, die Wahrheit ans Licht zu ziehen, wo sie verborgen scheint, anstatt den Irrthum zu verbergen, weil er Wahrheit scheint.

Herzog. Manche, die nicht wahnwizig sind, haben, wahrhaftig, weniger Vernunft--Was wollt ihr dann sagen?

Isabella. Ich bin die Schwester eines gewissen Claudio, der wegen der Sünde der Hurerey verurtheilt wurde, den Kopf zu verliehren; Angelo war es, der ihn verurtheilte: Ich, die im Begriff bin meine Probzeit in einem Kloster zu vollenden, wurde von meinem Bruder zu ihm geschikt; ein gewisser Lucio, von dem ich die Nachricht hatte--

Lucio. Das bin ich, mit Euer Durchlaucht Erlaubniß; Claudio hatte mich zu ihr geschikt, um sie zu bewegen, daß sie versuchen sollte, durch ihre rührende Fürbitte die Begnadigung ihres Bruders auszuwürken.

Isabella. Er ist es, in der That.

Herzog (zu Lucio.) Man hat euch nicht befohlen zu reden.

Lucio. Nein, Gnädigster Herr, noch gewünscht daß ich schweigen möchte.

Herzog. Ich wünsch euch's also izt; seyd so gut und merkt euch das; und wenn ihr Gelegenheit bekommt für euch selbst zu sprechen, so bittet den Himmel, daß ihr alsdenn nicht verstummen möget.

Lucio. Dafür steh' ich Euer Gnaden.

Herzog. Es wird sich zeigen.

Isabella. Dieser Edelmann erzählte etwas von meiner Geschichte.

Lucio. So ists.

Herzog. Es mag so seyn, aber ihr sollt nicht eher reden bis die Reyhe an euch kommt. Weiter!

Isabella. Ich gieng also zu diesem verderblichen gottlosen Stadthalter.

Herzog. Das ist ein wenig wahnwizig gesprochen.

Isabella. Vergebet mir, der Ausdruk ist der Materie gemäß.

Herzog. Wieder verbessert--der Materie--Nur weiter.

Isabella. Kurz, um die unnöthigen Umstände zu übergehen, wie viel Vorstellungen ich ihm gemacht, wie sehr ich gebeten, wie ich ihm zu Fusse gefallen, was er mir entgegengesezt, und wie ich ihm geantwortet, denn dieses daurte sehr lang--ich will den Anfang damit machen, womit dieser Auftritt sich beschloß, wenn ich es anders vor Schmerz und Schaam heraussagen kan. Er beharrte darauf, daß er meinen Bruder unter keiner andern Bedingung losgeben wollte, als wenn ich meinen jungfräulichen Leib seiner unkeuschen Begierde überlassen würde; und nach vielem Wortwechsel übertäubte endlich das schwesterliche Mitleiden die Stimme der Ehre, und ich gab nach: Aber den folgenden Morgen früh, nachdem er seinen Zwek erhalten hatte, schikt' er Befehl, daß meinem Bruder der Kopf abgeschlagen werden sollte.

Herzog (spöttisch.) Das ist sehr wahrscheinlich!

Isabella. O möcht es so scheinbar* seyn, als es wahr ist.

{ed.-* Der Sinn dieser Rede besteht in einem Spiel mit dem Wort (like), welches der Herzog für wahrscheinlich, und Isabella für artig oder anständig gebraucht; denn es hat beyde Bedeutungen.}

Herzog. Beym Himmel, du wahnwiziger Tropf, du weist nicht was du sprichst, oder du bist durch boshafte Künste gegen seine Ehre aufgestiftet worden. Fürs erste, so ist er ein Mann, dessen Tugend ausser Zweifel ist. Zweytens ist es wider alle Vernunft, daß er eine Vergehung, deren er sich selbst schuldig gemacht, so hart an einem andern gestraft haben sollte; hätte er sich so vergangen, so würde er deinen Bruder nach sich selbst gemessen, und ihm seinen Kopf gelassen haben. Ihr seyd von jemand aufgestiftet worden; Gesteht die Wahrheit, und sagt, auf wessen Anrathen habt ihr diese Anklage hier vorgebracht?

Isabella. Und ist das alles? O dann, so verleihet mir Geduld, ihr Heiligen dort oben! und entdeket zu seiner Zeit die Uebelthat, die hier in partheyische Gunst eingehüllet wird! Der Himmel bewahre Euer Durchlaucht so gewiß vor Unfall, als es wahr ist, daß ich das Unrecht erlitten habe, ob ich gleich keinen Glauben finde.

William Shakespeare
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